2. Das große oder 71gliedrige beth-din.

II. Die Behörde in der Quaderkammer des Tempels.

Statt der genauen und vollständigen Bezeichnung der uns beschäftigenden Behörde als das große Synedrion in der Quaderkammer oder das große beth-din in der Quaderkammer haben wir oben (Seite 34 ff.) an mehreren Stellen die entsprechende und noch bestimmtere: das Synedrion oder das bethdin von 71 Mitgliedern in der Quaderkammer gefunden. Da wir nun andererseits tannaitischen Sätzen begegneten, in denen die für die Beurteilung der Behörde so wichtige, weil diese kennzeichnende Ortsangabe, die Quaderkammer fehlt, so ist es fraglich, ob wir es in solchen Fällen bloß mit einer Ungenauigkeit der Quellen zu tun haben, deren Urhebern die Verschiedenheit der hohen Behörden in Jerusalem nicht mehr bekannt war, oder ob, was die wechselnde Bezeichnung nahelegt, tatsächlich zwei oder gar mehrere Synedrien neben einander bestanden haben. Da wir ferner »das große beth-din in Jerusalem« als die Behörde genannt fanden, die über den widerspenstigen Gesetzeslehrer das Todesurteil fällte, ist der Zweifel nicht abzuweisen, ob die Ortsangabe בירושלים bloß durch die Gegenüberstellung der im Zusammenhange genannten Gerichte in den Landstädten veranlaßt wurde, sonst aber keinerlei unterscheidende Bedeutung hat, oder ihr eine solche zuerkannt werden müsse. Infolge der Neuheit und Schwierigkeit der Frage muß jeder Bericht einzeln geprüft und sein Wert festgestellt werden, ehe derselbe zur Beantwortung der allgemeinen Frage über die Verschiedenheit der hohen Behörden in Jerusalem herangezogen werden kann.
Vorerst ist auf die Angabe der Mischna Synhedr. I 6 hinzuweisen, wonach das große Synedrion aus 71, das kleine aus 23 Mitgliedern bestand. Diese Nebeneinanderstellung der beiden Behörden und die Betonung der Gleichheit ihrer Befugnisse im Urteilen im Sifre Deut. 144 lehrt, daß auch die große ein Strafgerichtshof war, wahrscheinlich derselbe, der uns aus den nichttalmudischen Quellen als das Synedrion bekannt ist. Er hatte sonach 70 Mitglieder, wie das in den anderen Stellen als groß bezeichnete beth-din in der Quaderkammer. Was nun zunächst die einzelnen Berichte über die hohe Behörde mit dem Zusatze שבירושלים betrifft, so lesen wir in der Mischna Sota I 4 von der des Ehebruches verdächtigten Frau: ‏היו מעלין אותה לבית דין הנדול שבירושלים ומאיימין עליה כדרך שמאיימין על עדי נפשות,‎ ihre Ortsbehörde läßt sie vor das große beth-din in Jerusalem führen und dort macht man ihr (vor den Folgen) Angst, wie man Zeugen bei strafgerichtlichen Fällen Angst macht. Der Hinweis auf das Verfahren in Fällen, wo es sich um Tod und Leben handelt, legt die Annahme nahe, daß die Frau vor den obersten Strafgerichtshof, vor das Synedrion geführt wird. Aber Numeri 5, der Abschnitt über die von ihrem Gatten des Ehebruches verdächtigte Frau lehrt, daß es sich hier um die Durchführung eines von der Thora ausschließlich dem Priester zugewiesenen Verfahrens handelt.
Und da ist die Annahme doch etwas bedenklich, daß eine Angelegenheit, die unter, wenn auch primitiven, den Priester und das Heiligtum in der Nähe voraussetzenden Verhältnissen als Kulthandlung nur dem Priester zugewiesen wird, in weiterer Entwicklung zum obersten Gerichte sollte gebracht worden sein, wenn auch nur im ersten, das Opfer bloß streifenden Teile ihrer Durchführung. Man müsste vielmehr annehmen, daß das große beth-din in Jerusalem, das an die Stelle des einzelnen Priesters getreten ist, eine Priesterbehörde war; denn es handelt sich ja um ein Verfahren, das in dem Trinkenlassen des Prüfungswassers im Heiligtum gipfelt und in welchem alles diesem Voraufgehende nur die Vorbereitung zur Kulthandlung bildet. Und wenn auch das stete Zurückweichen des priesterlichen Elementes aus allen nicht streng kultischen Amtshandlungen, das sich, wie Geiger (Jüd. ZS III 110, s, weiter) richtig gesehen, unter dem Einflusse der vordringenden Pharisäer geltend machte, in Anschlag gebracht wird, so kann es in dem Falle der des Ehebruches verdächtigten Frau auch nach der Zulassung von Laien nur eine Behörde gewesen sein, die an die Stelle des Priesters und der Priester im Heiligtum trat, nicht aber ein der ganzen Angelegenheit völlig fernstehender Gerichtshof. Denn man beachte wohl, daß es da wegen Mangels an Zeugen in erforderlicher Zahl weder zur gerichtlichen Untersuchung des Ehebruches, noch zu einem Verhöre des den Verdacht äußernden Gatten oder des Zeugen kommt, sondern nur entweder zu einem Geständnisse der Frau, — das nicht, wie bei einem erwiesenen Ehebruche, die Todesstrafe zur Folge hat, — oder zum Trinken des Wassers im Heiligtum. Hinzu kommt, daß der Sifre Numeri 12 von dem beth-din überhaupt nichts weiß und die Mahnrede, welche nach der Mischna dieses beth-din in Jerusalem an die Frau richtet, als vom Priester im Vorhofe des Tempels vorgetragen verzeichnet.44 Nun heißt es im Parallelberichte des Sifre zutta zu Numeri 5, 30 (bei Königsberger 17a): ‏‎ את כל התורה הזאת, מלמד שאין משקין את השוטה אלא בבית דין הגדול. נאמר כאן את כל התורה הזאת, ונאמר להלן על פי התורה אשר יורוך, מה להלן בבית דין הגדול, אף כאן בבית דין הגדול‏‎ ‏,‎das Wort התורה im Satze besagt, daß die Frau nur durch das große beth-din zum Trinken des Prüfungswassers veranlalßit werden kann; das lehrt der gleiche Ausdruck in Deut. 17, 11.45 Da an dieser Stelle, wie die oben (Seite 39 ff.) angeführten Sätze zu diesem Bibelverse ausdrücklich besagen, das große beth-din in der Quaderkammer gemeint ist, so hat der Urheber dieses Ausspruches unter dem großen beth-din nicht das Synedrion, sondern das beth-din in der Quaderkammer verstanden, wie wir es ohnehin aus der Sache selbst erkannt haben. Der Hinweis auf das Angstmachen, wie bei den Zeugen in strafrechtlichen Fällen, gehört dem Verfasser der Schilderung in der
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44) Die Mischna Sota I 4 erzählt: ‏ואי אמרה טהורה אני, מעלין אותה לשערי מזרח ‏שעל פתח שערי ניקנור‎,‎ daß die Frau in dem Falle, daß sie vor dem beth-din ihre Unschuld beharrlich behauptet, in das Osttor, an den Eingang des Nikanortores hinaufgeführt wird. Es ist also vorausgesetzt, daß die Behörde, welche die Frau einvernimmt, nicht im Osttore, ja auch nicht in der nächsten Umgebung des Tempels, vielleicht nicht einmal auf dem Tempelberge, sondern, wenn מעלין genau genommen wird, in der Stadt sich befand.
Doch dürfte dieses Wort nur unter dem Einflusse des früheren Satzes; ‏מעלין אותה לבית דין הגדול שבירושלים‎ ‎gebraucht worden sein, wo damit die Reise vom Lande in die höher gelegene Hauptstadt bezeichnet ist. Siehe jedoch Abschnitt III 1, Note 112 ff. über den Sitz des beth-din.
45) In b. Sota 7b ist es der Amoräer R. Jose b. Chanina, der die Bestimmung in der Mischna, daß die Frau vor das große beth-din geführt wird, in der im Texte angeführten Weise begründet; nur heißt es bei ihm: ‏מה להלן בשבעים ואחד. אף כאן בשבעים ואחד,‎ indem an Stelle des ‏גדול‎ die Zahl der Mitglieder, 71 gesetzt wird.


Die Mischna an, der aber nur die Gleichheit des Verfahrens, nicht auch die der Behörde vermerken wollte.46
In der Mischna Sota IX 1 heißt es von dem in Deut, 21, 1 ff. vorgeschriebenen Sühnopfer für einen Mord, dessen Urheber unbekannt ist: ויצאו זקניך ושופטיך, שלשה מבית דין הגדול שבירושלים היו יוצאין, »Es sollen deine Ältesten und deine Richter hinausgehen, das besagt, daß drei vom großen beth-din in Jerusalem sich an den Fundort des Leichnams begeben,« um die diesem nächstgelegene Stadt durch Messung zu bestimmen, damit deren Älteste dann das Sühnopfer bringen.47 Die Tätigkeit dieser dreigliedrigen Abordnung des großen beth-din in Jerusalem ist in diesem Falle weder eine ins Bürgerrechtliche einschlagende, da für solches Recht hier kein Raum vorhanden ist, noch ist sie eine strafrechtliche, da die drei Männer nichts zu unternehmen haben, was auf die Spur des Täters führen könnte; sie haben einzig und allein durch einfache Messung die Stadt zu bestimmen, die das Sühnopfer bringen soll. Die Ähnlichkeit des früher behandelten Falles, des Verhöres der des Ehebruches verdächtigten Frau, wo die oberste Behörde in Jerusalem bestimmt, ob diese das Prüfungswasser des Heiligtums zu trinken habe, und dieses, wo dieselbe Behörde über die Darbringer des Sühnopfers entscheidet, ist eine augenfällige, wie ja tatsächlich in beiden Fällen dasselbe beth-din genannt wird. Andererseits spricht nichts dafür, daß hier das Synedrion
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46) Das beth-din in Jerusalem wird noch in der Mischna Gittin VI 7 von R. Jose erwähnt, den wir noch mehreremal als gut unterrichteten Tradenten über die Behörden in Jerusalem kennen lernen werden: Wenn ein Mann zu drei anderen sagt, daß sie seiner Frau den Scheidebrief geben sollen, dürfen sie andere damit beauftragen, da er sie zu einem Gerichtskollegium gemacht hat; das ist die Ansicht des R. Meir. וזו הלכה העלה חנינא איש אונו מבית האסורין. מקובל אני, באומר לשלושה תנו גפ לאשתי שיאמרו לאחרים ויבתכו. מפני שעשאן בית דין. אמר רבי יוסי נומינול שליח, אף אנו מקובלין. שאפילו אמר לבית דין הגדול שבירושלים תנו גט לאשתי, שילמדו ויבחבו ויתנו.‏‎ Da R. Jose nur zur Bekämpfung der Ansicht, daß drei Privatleute, die nach talmudischem Rechte ein Kollegium bilden, auch andere mit der Ausführung des ihnen erteilten Auftrages betrauen können, die Tradition anführt, daß selbst der große Gerichtshof in Jerusalem dieses nicht vermöge, so lassen sich hieraus keine weiteren Schlüsse ziehen.
47) Der Midr. haGadol zu Deut. 21, 2 hat über diese Behörde aus dem Sifre II: ‏‎ ויצאו זקניך, רבי אומר, בזקני בית דין הגדול הכתוב מדבר. אתה אומר בזקני בית דין הגדול חכתוב מדבר, או אינו אלא בזקני אותה העיר. בשהוא אומר, ולקחו זקני העיר ההיא, הרי זקני העיר אמורים, הא מה תלמוד לומר ויצאו זקניך, בזקני בית דין הכתוב מדבר.‏‎ Hier heißt sie das große beth-din ohne ‏בירושלים.


gemeint sei, obwohl die Veranlassung des ganzen Vorganges ein Mord ist.48 In der Tat lesen wir in einer Baraitha in jer. Sota IX 23c 7 (Tos. IX 1): »Wie geht man vor, wenn ein Ermordeter gefunden wird? Die Abgesandten der Ortsbehörde begeben sich dahin, nehmen seine Erkennungszeichen auf, bestatten ihn und bezeichnen die Stelle seines Grabes, כדי שיצאובית דין מלשבת הגזית וימודו, damit das beth-din aus der Quaderkammer hinkommen und die Messung vornehmen könne.« Hier ist es ausdrücklich gesagt, daß das große beth-din in Jerusalem, dessen drei Vertreter die Stadt bestimmen, die das Sühnopfer darzubringen hat, das in der Quaderkammer ist, Wir treffen dieses Sühnopfer zusammen mit anderen, zumeist dem Opferkult angehörigen Gegenständen in Tos. Synhedr. III 4 gleichfalls in Beziehung zu dem großen beth-din; und da finden wir eine weitere Bestätigung dessen, daß damit das beth-din in der Quaderkammer gemeint ist. Wir lesen dort: ‎אין שורפין את הפרה ואין עורפין את העגלה ואן עושין זקן ממרא על פי ב‏ית דין ואין עושין פר העלם דבר של צבור ואין מעמידין לא מלך ולא כהן גדול אלא בבית דין ‏של שבעים ואחד ‏ Da ist an erster Stelle die Verbrennung einer roten Kuh unter den Dingen genannt, zu deren Vornahme der Spruch oder die Anwesenheit des großen, aus 71 Mitgliedern bestehenden beth-din erforderlich ist; es fehlt jedoch der Zusatz ‏שבירושלים,‎ den wir in der Bestimmung über das große beth-din beim Sühnopfer fanden. Sucht man nun die Beziehungen zwischen der Verbrennung einer roten Kuh und dem Synedrion festzustellen, an das hier die Forscher alle bisher gedacht haben, so wird man wohl kaum welche entdecken können. Denn es handelt sich um einen Kultvorgang, dessen Einleitung und Vorbereitung wir ohne weiteres entweder einer Priesterbehörde, oder, falls dieser mißtraut wurde (s. weiter), einer derselben verwandten Körperschaft zuweisen müssen, die an die Stelle der Priester mit entsprechenden Befugnissen getreten ist. Die Mischna Para III 7 nennt die Abordnung
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48) In b. Sota 45a lesen wir über denselben Punkt in einer Baraitha allerdings Folgendes: R. Eliezer b. Jakob sagte: ‏‎זקניך זו סנהדרי, שופטיך זה מלך זכהן גדול. מלך דכתיב מלך במשפט יעמיד ארץ. כהן גדול דכתיב ובאת אל הכהנים הלוים ואל השופט אשר יחיה .., unter den Ältesten ist das Synedrion gemeint, unter den Richtern der König und der Hohepriester. R. Eliezer denkt hiernach an das Synedrion; aber der Parallelbericht in jer. Synhedr. I 19a 46 hat: ‏זקניך, זה בית דין הגדול‎ vgl. weiter unten S. 60 ff.


der fraglichen Behörde in unbestimmter Weise; זקני ישראל dürfen nach der eben ausgesprochenen Erwägung zuversichtlich annehmen, daß diese nicht dem obersten Gerichtshofe als Mitglieder angehörten, sondern wahrscheinlich dem großen beth-din in der Quaderkammer. Wir werden später sehen, daß auch die in den talmudischen Quellen überlieferten Auseinandersetzungen zwischen Sadducäern und Pharisäern über einen einzelnen Punkt bei der Verbrennung der roten Kuh nicht auf das Synedrion, sondern auf gelehrte Männer aus dem Volke hinweisen. Nun stellt die Toßifta diese Verbrennung mit der Darbringung des Sühnopfers für einen Mord zusammen als Vorgänge, die der Entscheidung desselben großen beth-din unterliegen. Hierdurch wird es zur Gewißheit, daß auch bei der roten Kuh dasselbe 71gliedrige beth-din der Quaderkammer vertreten sein muß, das beim Sühnopfer ausdrücklich genannt wird. Weiters zählt die Toßifta auch die Erklärung eines Lehrers, der dem geltenden Gesetze Widersprechendes lehrt, זקן ממרה zu den Dingen, die das Eingreifen des beth-din von 71 Mitgliedern erfordern. Andererseits haben wir schon aus der Mischna und dem Sifre erfahren (Seite 39), daß die Feststellung des Widerspruches, in welchem dieser Lehrer sich mit dem geltenden Gesetze befindet, durch die Behörde in der Quaderkammer erfolgt; so daß auch dieser Punkt die Richtigkeit des obigen Ergebnisses bestätigt. Und auch der weitere Punkt in der Aufzählung der Toßifta über das Sündopfer nach der Versündigung der ganzen Gemeinde bekräftigt dasselbe. Denn alle hierauf bezüglichen Äußerungen der Tannaiten stimmen darin überein, daß die Veranlassung zu diesem Opfer eine irrige Entscheidung oder Auslegung des beth-din in der Quaderkammer gibt. So heißt es im Sifre II (im Midr. haGadol zu Numeri 15, 24): והיה אם מעוני העדה, זו סנהדרין שהיא לעדה בעינים, ואיזו זו, זו סנהדרי גדולה בלשכת הגזית‏ (oben Seite 34), Sifra p. 19a: העדה, עדה המיוחדת שבישראל, ואיזו זו, זו סנהדרי גדולה היושבת בלשכת הגזית wofür die Parallelstellen, die Mischna Horaj. I 5, Sifre Numeri 111, 39a ‏בית דין הגדול haben. Es ergibt sich somit, daß in allen untersuchten Fällen nicht das Synedrion, sondern das beth-din in der Quaderkammer gemeint ist, das allein zu den kultischen Handlungen paßt;49 der Wechsel der Bezeichnung
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49) Der Widerspruch zwischen der Angabe der Mischna Synhedr. I, 3 ind Sota IX 1, die bei dem Sühnopfer für einen Mord nur drei Mitglieder


als בית דין הגדול שבירושלים oder ‏בית דין של שבעים ואחד ist hier ohne jede Bedeutung und nur der Verschiedenheit der Quellen zuzuschreiben. Über das große beth-din in Jerusalem bei der Intercalation in Mekhilta 3b oben, siehe Seite 74.
Dagegen ermöglichen es die verfügbaren Mittel nicht, festzustellen, was die beiden letzten Punkte in der Aufzählung der Toßifta: ‏אין מעמידין לא מלך ולא כהן גדול אלא בבית דין של שבעים ואחד,‎ man stellt einen König und einen Hohenpriester nur in oder mit dem beth-din von 71 Mitgliedern auf, bedeuten sollen und welche Behörde gemeint ist. Denn was die Einsetzung des Hohenpriesters betrifft, ist auch nicht zu erkennen, welche Zeit der Urheber dieser Bestimmung im Auge hatte und welcher diese selbst entspricht. Da der Hohepriester mit dem König beisammen genannt ist, kann nur entweder an die alte Königszeit oder an die des Herodes I und Agrippa I gedacht werden; die der hasmonäischen Fürsten scheint ausgeschlossen, weil bei diesen die beiden Würden, die hier völlig getrennt erscheinen, in einer Person und zudem als ererbt vereinigt waren.50 Aber auch die davidischen Könige dürften nicht gemeint sein, denn damals folgten die Hohenpriester aus dem alten Geschlechte, soweit wir unterrichtet sind, ohne das Dazwischentreten irgend einer Behörde auf einander. Es ist auch
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des großen beth-din anwesend voraussetzt, und der Toßifta, die in allen aufgezählten Fällen das ganze beth-din eingreifen läßt, hat ein Seitenstück an dem Vorgang bei dem Sühnopfer der ganzen Gemeinde. Denn auch da fordert die Toßifta die ganze Behörde, während nach Sifra 19b nur drei oder fünf, nach Targum Jonathan zu Levit. 4, 15 zwölf Mitglieder des beth-din ihre Hände auf das Opfer legen (vgl. Hoffmann, Einleit. in d. hal. Midr. 75). Aber der letzte Punkt gibt zugleich die Erklärung dieser Widersprüche: das ganze beth-din gibt zur Vornahme der betreffenden Handlung die Zustimmung oder die Veranlassung, aber nur eine kleine Abordnung ist bei deren Ausführung anwesend. Dasselbe werden wir auch bei der Kalenderordnung beobachten können, s. Note 107.
50) Die Bestimmung über den König gibt Maimonides (הלכות מלכים I 3) folgendermaßen wieder: אין מעמידין מלך בתחלה אלא על פי בית דין של שבעים זקנים ועל ‏פ' נביא כיהושע שמינהו משה רבינו ובית דינו וכשאול ודוד שמינם שמואל הרמתי ובית דינו‏‎ während er betreffs des Hohenpriesters bloß die Toßifta abschreibt .(IV 15 הלכות כלי מקדש). Er leitet aus der Einsetzung Josuas durch Moses und dessen beth-din, aus der Sauls und Davids durch Samuel und dessen beth-din die allgemeine Verfügung für die Könige ab. Aber sonderbarerweise hat unsere Toßiftastelle nach unserem Texte gerade den in der biblischen Zeit fast allein handelnden Propheten nicht und Maimonides hat diesen aus Sifre Deut. 157: אשר יבחר יי אלהיך בו, על פי נביא‎ genommen und mit den Forderungen der Toßifta vereint.

 

von vornherein wahrscheinlicher, daß es sich in den Bestimmungen der Toßifta, und mögen sie noch so alt sein, um die Zeit der Herodianer handelt, als den Lehrern Gelegenheit geboten war, über die Art und Weise, wie Könige und Hohepriester einzusetzen seien, nicht bloß theoretische Regeln aufzustellen. Allerdings haben sich weder die römischen Legaten und Prokuratoren, noch Herodes von Chalkis, soweit uns aus den dürftigen Nachrichten bei Josephus bekannt ist, bei der Wahl der Hohenpriester um die Meinung des großen beth-din gekümmert, vielleicht ebensowenig, wie die Kaiser in Rom, als sie Agrippa I und II zu Königen ernannten. Aber, wie mir scheint, handelt es sich in der Zusammenstellung der Toßifta gar nicht um die Ernennung der Könige und Hohenpriester, sondern um die Anerkennung derselben für religiöse Handlungen, hinsichtlich deren den jüdischen Behörden allein das Recht der Entscheidung zustand; so z. B. ob dem aus nicht rein jüdischer, sondern idumäischer Familie stammenden Agrippa das Recht zuerkannt werden solle, am Ende des Brachjahres die in Deut. 31, 11 vorgeschriebene Vorlesung aus der Thora vor dem versammelten Volke abzuhalten, was bekanntlich auch zugestanden wurde (Sifre Deut. 157, b. Synhedr. 21b, Tos. Sota VII 16). Das Gleiche dürfte nun auch bei den Hohenpriestern hinsichtlich ihrer Zulassung zum Opferdienste am Versöhnungstage vorgekommen sein, da nicht jeder der oft nur wenige Monate wirkenden, von der Willkür der römischen oder der jüdischen Machthaber erhobenen Hohenpriester mit Recht für würdig gehalten wurde, das Allerheiligste zu betreten. Diese Amtseinführung der Hohenpriester von seiten der obersten Religionsbehörde war auch unter Agrippa II nicht überflüssig, da er sich wohl der Leviten gegen die Priester annahm (Antiquit. XX 9, 6, 216 ff), aber in der Wahl der Hohenpriester auf Willkür nicht verzichtet haben wird. Denn im Talmud (b. Joma 18a. 8b unt., vel. Jebam.
VI 4, jer. Joma I 38c 52) wird erzählt, daß Martha aus dem Hause Boethos dem König Jannai — wie die Chronologie zeigt, Agrippa II — einen Scheffel Denare gegeben hat, damit jener Josua b. Gamala zum Hohenpriester ernenne.51 Die Behörde
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51) ‎Man wäre geneigt, um dem Wortlaut: ‏אין מעמידין כהן גדול . . . אלא בבית דין של שבעים ואתד, ganz gerecht zu werden, diese Bestimmung auf die Wahl des‏ ‎Hohenpriesters während der Revolution (Bell. IV 3, 7, 153 ff. und Lev. r. 26, 9,


aber, die über die Einführung des jeweiligen Hohenpriesters in die an seine Würde geknüpften Opferdiensthandlungen und über die des Königs zur Ausübung der ihm durch Gesetz oder Brauch zuerkannten religiösen Rechte zu entscheiden oder auch nur zu beraten hatte, kann nicht das Synedrion, sondern nur eine Tempelbehörde gewesen sein. Die Zusammenstellung der Toßifta macht es unzweifelhaft, daß es das beth-din in der Quaderkammer war, das, wie in den anderen, auch in diesen Fragen entschieden hat.
Im ersten Abschnitte der Mischna Synhedrin, wo die Fälle, die vor eine der verschiedenen, aus 3, 5, 7, 10, 23 oder 71 Mitgliedern bestehenden Behörden gehören, scheinbar ohne jede Rücksicht auf die Stellung des sonst ausschließlich als Privatmann lebenden oder des in einer höheren oder niedrigeren Körperschaft wirkenden Richters bloß nach der geforderten Anzahl von Richtern aufsteigend geordnet sind,52 sehen wir
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Tos. Joma I 6, b. Joma 18a, Sifra 94c) zu beziehen, bei der die Lehrer den gesetzlichen Vorgang vorher angegeben haben dürften. Denn die Zeloten waren als Revolutionspartei sicherlich bestrebt, den gesetzlichen Weg zu beobachten, wie sie sich hierbei tatsächlich auf die alte Sitte beriefen. Sie versammeln μίαν τῶν ἀρχιερατικῶν φυλήν, ('Ενιάχιν καλεῖται). Es gab sonach mehrere hohepriesterliche Abteilungen; und da solche innerhalb der gemeinen Priesterschaft früher nicht bestanden hatten, so dürfte sich dieses auf die kurz vorher vorgenommene Wahl von ἀρχιερεῖς (Bell. IV 3, 6, 148) beziehen, welche die Zeloten an die Stelle der bisher bestandenen treten ließen. Es wäre aber auch möglich, daß sie einfach die Familien, aus denen die Boethos, Anan, Fiabi und Kamith stammten, heranzogen und mit Umgehung der vornehmen Priester nur die gemeinen berücksichtigten. Da sich nun die talmudischen Berichte tatsächlich mit dem aus dieser Wahl hervorgegangenen Hohenpriester Simon aus Chabtha befassen, könnte seine Einsetzung die Bestimmung über die Einsetzung eines Hohenpriesters überhaupt veranlaßt haben. Die Pharisäer mögen die alten Familien bereitwilligst in den Hintergrund gedrängt und es der göttlichen Entscheidung durch das Los anheimgegeben haben, eine andere, neue Familie ans Ruder zu bringen. Aber diese Erklärung der Toßiftastelle erweist sich in Wahrheit als unmöglich, wenn man berücksichtigt, daß zusammen mit der Einsetzung des Hohenpriesters die des Königs angeführt wird und die Art und Weise der Zusammenstellung gleichzeitig bestehende Verhältnisse voraussetzt; hiefür aber bietet die Revolution nichts Entsprechendes.
52) ‎Es läßt sich aus einer Reihe der hier aufgezählten Fälle auf Grund‏ ‎der bisherigen Ergebnisse feststellen, daß in der ganzen Aufzählung der‏ ‎Mischna vom beth-din in Jerusalem die Rede ist. So gehören die drei Männer‏ ‎bei dem Handauflegen auf das Sündopfer der Gemeinde und bei dem Sühn‎opfer für einen Mord nach ausdrücklicher Angabe der Parallelstellen dem‏


in I 5 eine neue Gruppe von Fällen zusammengestellt, die vor das beth-din mit 71 Mitgliedern gehören. Es sind: ‎ ין דנין את השבט ולא את נביא השקר ולא את כהן גדול אלא בבית דין של שבעים ואחד, ואין מוציאין למלחמת הרשות אלא על פי בית דין של שבעים ואחד. ואין מוסיפין על העיר ועל העזרות אלא על פי בית דין של שבעים ואחד. ואין עושין סנהדראות לשבטים אלא בבית דין של
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beth-din in der Quaderkammer an; ebenso die drei bei der Bestimmung des Neumondes und bei der Jahreseinschaltung, wie wir bald sehen werden. Liest man nun in Sanhedr. I 3: ההקדשות בשלשה, הערבין המטלטלין בשלשה, רבי יהודה אומר אחד מהן כהן, והקרקעות תשעה ובהן, ואדם ביוצא בהן, fragt man sich, wo den diese Schätzungen vorgenommen wurden. Da die Bibel zum Schätzmeister den Priester bestimmt hat und nun an Stelle des Priesters eine Behörde getreten ist, so haben wir hier denselben Fall, wie bei der des Ehebruches verdächtigten Frau, wo die Behörde in der Quaderkammer das Amt des Priesters übernahm. Allerdings kommt die Frau nach Jerusalem, während Grundstücke an Ort und Stelle geschätzt werden müssen. Nun lesen wir in der Baraitha jer, Schekal. I 46a 19 (Moed kat. I 80b 64, Tos, II 11) als Erläuterung zur Bestimmung in der Mischna Schekal. I 1, daß am 15. Adar die Abgesandten des beth-din alle Bedürfnisse der Allgemeinheit wahrnehmen: אילו הן צרכי הרבים, דנין דיני ממונות ודיני גפשות דיני מכות, ופודין ערכין וחרמין והקדשות, ומשקין את הסוטה ושורפין את הפרה ועורפין עגלה ערופה ורוצעין עכד עברי ומטהרין את המצורע. ומפרקין את המנעל מעל גבי האימום ואין מחזירין אותו. Es handelt sich, wie Tos. Schekal. I 1—4 ausdrücklich sagt, um die Sendboten des beth-din in Jerusalem, die all dieses wahrzunehmen und durchzuführen haben. Wir sehen hier die Angelegenheit der des Ehebruches verdächtigten Frau, die des Sühnopfers für einen Mord und die Verbrennung einer roten Kuh, die zu den Befugnissen des beth-din in der Quaderkammer gehören. Als die Aufgabe dieser Sendboten wird aber auch das Auslösen der Schätzungswerte, Banngüter und geweihten Gegenstände bezeichnet und auch die Schlichtung bürgerrechtlicher Streitigkeiten. Vergleichen wir hiermit die Mischna in Synhedr. I, so bemerken wir eine sehr beachtenswerte Übereinstimmung zwischen derselben und der Aufzählung in der Baraitha und es liegt nahe, das in der Baraitha Aufgezählte als das Gerippe der Mischna anzusehen. Allerdings bezieht sich die Baraitha, wie das letzte Glied ihrer Aufzählung und ihre Stellung innerhalb der Tos. Moed katan lehrt, auf den Halbfeiertag und nicht auf die Mischna in Schekal. I 1; nichtsdestoweniger kann die Beziehung auf diese aufrecht erhalten werden, da mit hoher Wahrscheinlichkeit die gleiche Zusammenstellung auch als Erklärung zu Mischna Schekalim ohne den letzten Punkt vorhanden gewesen sein dürfte. Auch ist wohl zu beachten, daß die Abgesandten des beth-din die ihnen hier zugewiesenen Maßregeln nicht in ihrem jeweiligen Aufenthaltsorte können getroffen haben, da dieselben an Jerusalem, das beth-din und den Tempel gebunden sind. Die Stelle will nur besagen, wie schon die Kommentatoren bemerken, daß die Abgesandten die vorbereitenden Schritte tun und die Behörden in Jerusalem das Weitere veranlaßten. Vgl. noch Tos. Schekal. II 15: ‏שלשה גזברין מה היו עושין בהן היו פודין את ערבין את חרמין.‎ Denn es ist ja ohnehin unmöglich, daß sie ein 23gliedriges Synedrion bilden sollten, um Stockstrafen zu verhängen oder andere Strafprozesse zu verhandeln, S. Tos. Moed kat. II 11. ‏שבעים ואחד. ואין עושין עיר הנדחת אלא בבית דין של שבעים ואחד


Nach der eben ausgesprochenen Wahrnehmung über die Nichtunterscheidung der Behörden, denen die Richter angehören, steht es zunächst nicht fest, daß in allen hier aufgezählten Fällen dasselbe große beth-din gemeint ist, wiewohl die Wiederkehr der einen Bezeichnung, ‏ בית דין של שבעים ואחד dafür spräche.53 Da es sich hier um einige Punkte handelt, welche die innere Verwaltung des Landes und die Entscheidung über Krieg und Frieden betreffen, so wäre die Vergleichung mit den entsprechenden Meldungen in den außertalmudischen Quellen der sicherste Weg zur Ermittelung der hier als maßgebend genannten Körperschaft. Aber schon die talmudischen Berichte machen irre. Denn in b. Synhedr. 71a (Tos. XIV 1) sagt eine Baraitha: »Die Vernichtung einer Stadt wegen Götzendienstes ist nie vorgekommen und wird nie vorkommen; R. Jonathan sagte: Ich habe eine solche Stadt gesehen und bin auf ihren Trümmern gesessen.« Man beachte, nur R. Jonathan und auch dieser nur im babylonischen Talmud weiß von einem solchen Vorkommnisse. Handelt es sich sonach in diesem Punkte der Aufzählung in der Mischna um eine akademische Bestimmung, so sind wir geneigt, das Gleiche auch für andere Fälle in derselben anzunehmen, für die das beth-din mit 71 Mitgliedern gefordert wird, und auf die weitere Untersuchung zu verzichten. In Wahrheit aber ist eine solche Verallgemeinerung ohne Anführung von Gründen nicht nur unstatthaft, sondern auch unberechtigt, da sich zu einem der hier aufgezählten Punkte ein tatsächliches Vorkommnis als Parallele anführen läßt. Während sich nämlich für die Anklage gegen einen götzendienerischen Stamm, einen falschen Propheten und einen Hohenpriester, soweit mir bekannt ist, weder in der älteren, noch in der jüngeren Geschichte Judäas ein Beleg findet, ebensowenig dafür, daß die Entscheidung über einen zu eröffnenden Krieg und die Einsetzung von Gerichtshöfen in
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53) In der Aufzählung der Mischna ist man geneigt, an den römischen Einfluß zu denken. Denn im römischen Recht wird die Frage erörtert, wer die Befugnis hat, das pomerium zu verschieben, das heißt den Lauf der Ringmauer der Stadt abzuändern (Mommsen, Röm. Staatsrecht II 1, 3. Auflage 1887, 738), ferner wer über Krieg und Frieden entscheidet (739), die Magistrate ernennt u. s. w. Allerdings ergab sich diese Frage aus jedem lebenden Staatswesen von selbst; aber ein solches hatten die Juden seit der römischen Herrschaft über Judäa eben in nur sehr beschränktem Maße und nur unter Agrippa I hatte manche der hier gestellten Fragen eine tatsächliche Grundlage.


den einzelnen Teilen des Landes von der obersten Behörde in Jerusalem ausgegangen wäre, bietet die Frage über die Erweiterung der Stadt und der Tempelvorhöfe einigen Stoff zur Ermittelung der hier maßgebenden Behörde. Denn es ist ohne Zweifel ein müßiges Unternehmen, feststellen zu wollen, ob der Fürst Johann Hyrkan und der König Alexander Jannai mit Zustimmung des Synedrions oder eines anderen Rates ihre Kriege geführt haben, oder ob der letzte Krieg Judäas gegen Rom im Einverständnisse mit derselben Körperschaft eingeleitet wurde. Denn für die ersteren fehlen die Quellen, von dem letzten wissen wir, daß er von jenen eröffnet wurde, die von rechtswegen am wenigsten befugt waren, irgend welche Beschlüsse zu fassen.
Über die Erweiterung der Stadt und der Tempelvorhöfe aber hat die Mischna Schebu’oth II 2: ‏אין מוסיפין על העיר ועל העזרות ‏אלא במלך ונביא ואורים ותומים ובסנהדרין של שבעים ואחד‎ daß zu derselben der König, der Prophet, die Urim und Tummim und das 71gliedrige Synedrion erforderlich seien. Auch dieses macht allerdings im ganzen den Eindruck des Theoretischen und des aus den Büchern der Chronik oder der Könige Abgeleiteten; denn es paßt auf keinen Zeitpunkt nach dem Exile, da nach der Angabe der Mischna Sota IX 12 dem zweiten Tempel die Urim fehlten (vgl. b. Sota 48b, jer. Kiddusch. IV Anfang 65b),54 Aus
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54) Beachtenswert ist, daß der Brief des Aristeas (ed. Wendland 29, 97) in der Beschreibung des hohenpriesterlichen Gewandes auf das λογεῖον an der Brust mit den Steinen und den Namen der 12 Stämme hinweist. Es könnte dieses als eine auf Grund der Bibel erdichtete Schilderung gelten, wenn nicht auch Sirach 45, 10 der Tasche des Urteilsspruches und der Steine nach der Zahl der Stämme als noch zu seiner Zeit vorhanden gedächte. Da dieses aber innerhalb der Verherrlichung Aarons vorgetragen wird, beweist es nichts für die Zeit Sirachs.. Am sichersten jedoch bezeugt Josephus (Bell. V 5, 7, 234) das Vorhandensein des Choschen, da er ohne jede Beziehung auf die Vergangenheit bloß als Beschreibung der Gegenwart die zwölf Steine an der Brust des Hohenpriesters vorführt. Auch die Mischna Joma VII 5 hat in ihrer Aufzählung der hohenpriesterlichen Gewänder eine Bestimmung darüber, in welchen Kleidern und welchen Personen der Hohepriester mit den Urim Rede steht; und da ist für uns auch die Rücksichtnahme auf den König beachtenswert (siehe auch Abschnitt IV 2). Und auch Philo (Vita Mosis III 11, Mangey II 152), der das hohenpriesterliche Brustschild in demselben Abschnitte beschreibt, in dem er die Unzulässigkeit des Aussprechens des Gottesnamens im Stirnblech des Hohenpriesters betont, also seine eigene Zeit und nicht die der Bibel im Auge hat, setzt im ersten Jahrhundert das Vorhandensein


diesem Grunde kann sich diese Vorschrift auch auf die in Nehem, 12, 30 ff. beschriebene Einweihung der Stadtmauer von Jerusalem nicht beziehen,55 bei der es ja auch keinen König gegeben hat. Einen solchen nennt auch Abba Saul, den wir bereits als gut unterrichteten Kenner des jerusalemischen Tempels angeführt haben (Seite 8), in b. Schebu’oth 16a (Tos. Synhedr. III 4, jer. I 19b 64) in einer zur obigen Mischna angeführten Baraitha: שני בצעים היו בהר המשחה, התחתונה והעליונה, תחתונה נתקדשה בכל אלה, עליונה לא נתקדשה בכל אלו אלא בעולי גולה שלא במלך שלא באורים ותומים, ‏‎ zwei Bodeneinschnitte (?) waren auf dem Ölberge, der eine, der untere wurde durch alle in der Mischna vorgeschriebenen Personen und Dinge geweiht, der zweite, der obere dagegen ohne König und ohne Urim, bloß von den aus dem Exile Zurückgekehrten. Abba Saul kennt hiernach zwei Erweiterungen Jerusalems, deren eine er in die Königszeit und die spätere nach der Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exile verlegt. Wir haben nicht die Mittel, diese Angabe auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Da wir aber für die Forderungen, welche der Bericht des der älteren Zeit angehörigen und zuverlässigen Abba Saul als anerkannt voraussetzt und die Mischna kodifiziert, in den biblischen Berichten keinerlei Anhaltspunkt finden, so ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit, daß die Meldung, die zur Erweiterung des Stadtgebietes die Anwesenheit oder Zustimmung des Königs fordert, eine Zeit widerspiegelt, als Jerusalem einen König hatte, der sich an solchen Einweihungsakten bereitwilligst beteiligte, d. h. die unter Agrippa I oder II. Vergleicht man noch den Satz des R. Eliezer b, Jakob in b. Sota 45a (b. Synhedr. 14b, jer. I 18a 46), der die Ältesten in Deut, 21, 2, die bei der Darbringung eines Sühnopfers für einen Mord mit unbekanntem Täter mitwirken, als Synedrion und die Richter als den König und den Hohenpriester auslegt, während wir im selben Falle nach der Mischna, der Baraitha und dem Sifre bloß das beth-din in der Quaderkammer antrafen, so sehen wir, daß der Bericht Abba Sauls nicht der einzige ist, der in der Ausführung des Gesetzes dem König
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des hohenpriesterlichen Brustschildes voraus. Aber alle diese Stellen beziehen sich bloß auf den Choschen, nicht auch auf die Urim darin; vgl. S. 94 ff.
55) Vgl. jedoch Ezra 2, 63: der Tirschatha sprach zu den Priestern, daß sie vom Allerheiligsten nicht essen sollten, bis der Priester mit den Urim und den Tummim ersteht.


eine eigene Stellung anweist. Da es sehr auffallend ist, daß eine so bestimmte, keinerlei Deutung herausfordernde Vorschrift der Thora, die ausdrücklich von Richtern spricht, auf den König im allgemeinen bezogen wurde, so müssen bestehende Zeitverhältnisse diese Deutung veranlaßt haben; d. h. sie entstand, als man das Bedürfnis hatte, den Nachweis zu führen, daß auch der König bei solchen öffentlichen Amtshandlungen eine Rolle haben sollte. Wir finden den König und den Hohenpriester beisammen in Sota VII 7, in der Bestimmung über das Vorlesen der Thora am Ausgange des Sabbathjahres: ‎ ‏חזן הכנסת נוטל ספר תורה ונותנה לראש הכנסת. וראש הכנסת נותנה לסגן והסגן נותנה לכהן גדול וכהן גדול נותנה למלך. wo sicher Vorgänge aus den letzten Jahrzehnten des Tempelbestandes die Grundlage der Vorschrift bilden. Eine auffallende Miteinbeziehung des Königs in die Ausführung des Gesetzes tritt auch in der Mischna Bikkur, III 4 über die Darbringung der ersten Früchte hervor: »Gelangt der die ersten Früchte darbringende Pilgerzug zum Tempelberg, so nimmt selbst der König Agrippa den Korb auf die Schulter und steigt bis zum Vorhofe des Tempels hinauf (vgl. Peßach. XI 1 und b. Peßach. 107b, Hoffmann, Die erste Mischna 16 ff.). Dieses bekräftigt, wie ich glaube, die Annahme, daß die Vorschriften der Mischna über die Beteiligung des Königs an dem Gottesdienste und Opfer im Tempel und an öffentlichen Aufzügen sich gleichfalls auf einen der beiden Agrippa beziehen. Es ist nun beachtenswert, daß Josephus (Antiquit. IV 8, 12, 209) die in Deut. 31, 11 vorgeschriebene Vorlesung aus der Thora am Ausgange des Sabbathjahres dem Hohenpriester zuweist; während nicht bloß die theoretische Aufstellung der Mischna Sota VII 8, sondern auch der Bericht über eine tatsächliche Vorlesung (Sifre Deut. 157, b. Synhedr. 21b, Tos. Sota VII 16) den König und zwar Agrippa hierfür nennt. Es erklärt sich dieses aus der einfachen Erwägung, daß, als Judäa keinen Fürsten hatte, der den Wunsch äußerte, sich an den religiösen Handlungen in der Öffentlichkeit zu beteiligen, der Hohepriester, der nach der Rückkehr der Juden aus dem Exile das politische Oberhaupt seines Volkes geworden, in diesem Punkte der höchststehende war. Als aber an dem Gottesdienste ein jüdischer König teilnahm, trat der Hohepriester, der schon infolge seiner Ernennung von jenem abhing, hinter ihn zurück. Josephus schildert die königlose Zeit, die Mischna bezieht sich auf einen der beiden Agrippas. Der Hohepriester folgt erst auf den König, dann das Synedrion als drittes Glied in der Gruppe.56 Die Mischna Schebu’oth II 2 hat in ihrer Bestimmung: ,במלך ונביא ובאורים ותומים ובסנהדרין allerdings noch den Propheten, dagegen nicht den Hohenpriester; dieser wird jedoch in den Urim vorausgesetzt. Man wäre trotzdem geneigt, den hier störenden Propheten für den Hohenpriester zu halten; aber es fehlt uns das Recht und die Grundlage, das einfache Wort erst zu deuten.57
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56) Und damit wir hier nicht an das Synedrion denken, das zu der ganzen Umgebung gar nicht paßt, will ich gleich hier auf die Baraitha jer. Ta’anith IV 68a 17 über die Standmannschaft im jerusalemischen Tempel hinweisen, wo gesagt wird: מנהדרין גדולה היתה מתענה עמהן, daß mit der Standmannschaft, die während der Woche ihres Aufenthaltes im Tempel fasten mußte, auch das große Synedrion fastete. Ist es etwa möglich, hier auch nur einen Augenblick an das Synedrion zu denken, das sich mit Rechtsangelegenheiten ernstester Natur befaßte? Es kann vielmehr nur eine Behörde sein, die den Opferdienst und den Tempel leitete und sich in dieser ihrer Stellung bei der Darbringung des täglichen Opfers natürlicherweise vertreten ließ. Diese Vertreter schlossen sich im Fasten den Vertretern des Volkes an; es ist das große beth-din in der Quaderkammer.
57) Josephus (Antiquit. IV 8, 14, 218) nennt als die oberste Behörde, der in Rechtsangelegenheiten auftauchende Zweifel zur Entscheidung vorgelegt wurden, den Hohenpriester, den Propheten und die Gerusia. In Contra Apionem I 6, 29 sagt er, bei den Israeliten sei das Amt der Geschichtsschreibung dem Hohenpriester und den Propheten übertragen. Da nun keines unserer biblischen Bücher von einem Hohenpriester verfaßt ist, so muß Josephus etwas Bestimmtes im Auge gehabt haben. Was er meint, ist mir nicht klar, da es nicht wahrscheinlich ist, daß nach ihm, wie in den griechischen Tempeln der προφήτης als Deuter und Verkünder des göttlichen Willens ein eigenes Amt innehatte, derselbe als besonderer Würdenträger neben dem Höhenpriester stand, ähnlich dem סגן in der Mischna. Man könnte an einen Kanzler des Heiligtums denken, der etwa die Aufgabe hatte, wichtige Vorgänge im Tempel aufzuschreiben und die Chronik dieses zu führen, wie wir Ähnliches bei anderen Völkern finden. In Antiquit. IV 8, 17, 224, in der Wiedergabe von Deut. 17, 14—20 sagt Josephus vom Könige, daß dieser ohne den Rath des Hohenpriesters und den der Gerusia nichts tue. Da sich hiervon im Bibeltexte nichts findet, muß Josephus wieder entweder frei nach den Schilderungen im Buche der Könige oder nach den Verhältnissen seiner Zeit geschrieben haben, also unter Agrippa II. In der Tat entspräche dieses den Aufstellungen der Baraitha, die den Propheten, den König und das Synedrion zusammen nennt. In Antiquit. IV 8, 14, 218 gibt Josephus אל הכהנים הלוים ואל השופט‎ in Deut. 17, 9 mit Hohenpriester, Prophet und Gerusia wieder; er scheint da den Propheten in הלוים wiedergefunden zu haben und dieses führt auf die Vermutung, daß das Oberhaupt der Leviten, von denen נביא in I Chron.


Fragen wir nun, welche Behörde unter dem beth-din mit 71 Mitgliedern, das im Zusammenhange mit der Erweiterung der Stadt Jerusalem und der Tempelvorhöfe genannt wird, gemeint ist, so ist zunächst zu beachten, daß es sich in den talmudischen Berichten, wie schon die Tempelvorhöfe zeigen, nicht um die Frage der Stadterweiterung selbst handelt. Diese war ohne Zweifel Sache der Verwaltung Jerusalems und, wenn sie auch der Zustimmung des Königs bedurft haben mag, der Prophet war hierbei sicherlich nicht notwendig. Es ist vielmehr, genau
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25, 1.2.3 gebraucht und deren Führer Aßaf als Prophet des Königs, Heman als Seher dieses in den Worten Gottes bezeichnet wird. Dazu würde auch passen, daß die Leviten als die Kanzler des Tempels gelten (II Chron. 34, 13; סופרים ושופרים ושועדים). In den talmudischen Nachrichten wird übrigens mehreres auf die Propheten zurückgeführt, das zeigt, daß diese auch in nachexilischer Zeit als an der Gesetzgebung mitwirkend bekannt waren. So wird in der Baraitha b. Ta‘anith 28a, Tos, IV 5, jer. IV 68a 38 erzählt, daß, als die Juden aus dem Exile heimkehrten und das für den Altar notwendige Holz nicht vorhanden war, einige Männer und Familien dasselbe herbeischafften, weshalb die Propheten jener Zeit es als Satzung aussprachen, daß, wenn noch so viel Holz in der Tempelkammer vorhanden sein wird, dieselben Männer und Familien das Holz liefern dürfen. In b. Ta’anith 27ab, Tos. IV 2, jer. IV 68a 7 werden die Propheten als die Urheber der Einteilung der Priesterschaft in 24 Klassen und auch als die der Verfügung genannt, daß die Klasse Jeda’ja unter allen Umständen den ersten Platz einnehme (vgl. Bloch שערי תורת התקנות‎ I 27—30). Tos. ‘Erub. XI 22, b. 104b, jer. X 26d 15 erzählt: die Propheten gestatteten den aus dem Exile heimkehrenden Juden, auch am Sabbath aus bestimmten Brunnen Wasser zu schöpfen. Wie in all diesen Fällen, handelt es sich auch nach der Angabe des R. Chunjath aus berath-Chavran in jer. Sukka IV 55b 47: ערבה ונסוך המים . . . מיסוד הנביאים הם (nach dem Ausspruche des R. Jochanan und des R. Josua b. Levi in b. Sukka 44b:‎ ‏ערבה יסוד נכיאים oder מנהנ נביאים)‎ um den Tempeldienst und die Priesterschaft; die Propheten sollen den Umzug um den Altar mit Weiden am 7. Tage des Laubhüttenfestes und das Wasseropfer an diesem Feste eingeführt haben. Bräuche, die von den Sadducäern bekämpft wurden. Die Mauer des inneren Vorhofes, die Alkimos beseitigt, wird in I Makkab. 9, 54 als das Werk der Propheten bezeichnet. Auch liturgische Schöpfungen, wie das Lesen aus der Thora in der Synagoge an Wochentagen, das auch auf Ezra zurückgeführt wird, ist in b. Baba kamma 82a von den דורשי רשומות auf die Propheten zur Zeit Mosis zurückgeführt (Mekhilta 45a die Propheten und Ältesten). Nach b. Peßach. 107a haben die Propheten das Hallel als Dankgebet eingeführt, nach b. Megilla 17b sind 120 Älteste, unter ihnen viele Propheten die Urheber des Achtzehngebetes, nach jer. Megilla I 70d 64, b. Megilla 17b, Ruth rabba 4, 5 die der Purimfeier. In Jadajim IV 3 bezeichnet R. Josua b. Chananja die Verpflichtung der in Babylonien wohnenden Juden, den zweiten Zehnt zu geben, als .מעשה נביאים


so wie bei der Einsetzung des Königs und des Hohenpriesters, wie schon die Nennung der inneren Vorhöfe des Heiligtums zeigt, die religionsgesetzliche Seite; es sind die Folgen der Erweiterung, die Ausdehnung der Heiligkeit eines bisher abgegrenzten Gebietes auf ein weiteres und die Zuerkennung von Rechten hinsichtlich des Genusses von Tempelheiligtümern und des zweiten Zehnts gemeint. Diese Frage aber kann nicht in die Befugnis einer rein weltlichen Stadtbehörde, aber auch nicht eines Strafgerichtshofes oder einer politischen Verwaltungskörperschaft, sondern nur zu den Rechten der die Heiligtümer und den Tempel überwachenden Behörde gehört haben; sind doch neben ihr außer dem Könige der Prophet und die Urim genannt, die den religiösen Charakter des Gegenstandes, wie des fraglichen beth-din fordern. Auch da entspricht, wie in allen bisher erörterten Fällen, das beth-din in der Quaderkammer am besten, das, wie wir gesehen, nicht bloß als das große, sondern auch als das 71gliedrige bezeichnet wird. Das bestätigt aber auch eine Baraitha in b. Synhedr. 14b über den widerspenstigen Lehrer: »Traf dieser das beth-din in beth-Fage und trug dort etwas dem allgemeingültigen Gesetze Widersprechendes vor, — das beth-din war nämlich ausgezogen, um nach Deut. 21, 2 die Entfernung der Städte von dem Leichnam eines auf der Straße ermordet Aufgefundenen zu messen, oder in Angelegenheit der Erweiterung der Stadt oder der Tempelvorhöfe, — so ist sein Widerspruch nicht zu berücksichtigen, da derselbe im Versammlungsorte der Behörde festgestellt werden muß.« Hier wird vorausgesetzt, daß die Frage der Erweiterung Jerusalems und der Vorhöfe des Heiligtums zu den Befugnissen desselben beth-din gehört, das durch Messung die Stadt bestimmt, welche das Sühnopfer für einen Mord darzubringen hat, und welches den Widerspruch des widerspenstigen Lehrers gegen das bestehende Gesetz feststellt. In beiden Fällen aber wirkt, wie ausdrücklich gemeldet wird (Seite 51. 38), das große beth-din in der Quaderkammer, somit auch hier.58 Ist auch der Wert
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58) Es ist sehr beachtenswert, daß nach der Mischna Schekal. IV 2 die Wasserleitung, die Stadtmauer und ihre Türme und alle Bedürfnisse der Stadt aus dem nach Deckung der Gemeindeopfer überschüssigen Gelde des Tempelschatzes bestritten werden. Da über die Verwendung dieses aus den Schekeln sich zusammensetzenden Geldes sicherlich irgend eine Tempelbehörde verfügte, erkennen wir, daß zwischen den Bauten der Stadt und dieser Behörde irgend welche nähere Beziehungen bestanden.


solcher, mit תניא כוותיה eingeleiteter, die Aussprüche von Amoräern bestätigender Baraithas kein unbestrittener, ja oft gleich Null, so zeigt diese doch die Richtigkeit des hiervon völlig unabhängigen Ergebnisses. Wir sehen dasselbe beth-din auch in Verbindung mit dem Könige in jer. Synhedr. II 20c 58: an: ‏וכותב ספר תורה לשמו, שלא יהא ניאות לא בשל אביו ולא בשל רבי, מספר עזרה על פי בית די' של שבעים ואחד. wo es als die Behörde vorausgesetzt wird, die über das im inneren Tempelvorhofe aufbewahrte Thoraexemplar wacht59 oder den Vermittler zwischen dessen Hütern und dem König abgibt, sonach zu dem Heiligtum in engsten Beziehungen steht.60
Zur behandelten Vorschrift in der Mischna, daß die Vorhöfe des Tempels nur mit Zustimmung des 71gliedrigen beth-din erweitert werden dürfen, ist auf einen Vorfall aus der Zeit Agrippas II hinzuweisen. Derselbe hat wohl keinen diese Frage unmittelbar betreffenden Punkt zum Gegenstande, wie überhaupt nicht die Erweiterung des heiligen Gebietes, sondern eine neue Mauer am Heiligtum; er ist aber dennoch geeignet, auf die fragliche Zuständigkeit der jerusalemischen Behörden
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59) Tos. Synhedr. IV 7 hat hierfür: ‎ומניחין אותו בבית דין של כהנים ובבית דין של לוים ובבית דין של ישראל משיאין לכהונה, wo die Gruppen genannt sind, aus denen die große Behörde besteht. Die Forderung der makellosen Abkunft für die Gruppe der Laien scheint für den ersten Augenblick auf einen Strafgerichtshof hinzuweisen, Denn die Mischna Synhedr. VI 2 bestimmt: jeder kann in bürgerrechtlichen Angelegenheiten Richter sein, in strafrechtlichen dagegen אלא כהנים לוים ישראלים המשיאין לכהונה und dementsprechend verfügt die Mischna Kiddusch. IV 5, daß es bei diensttuenden Priestern und Leviten und bei Mitgliedern des Synedrions nicht erst der Untersuchung hinsichtlich der makellosen Abkunft bedarf. Aber es ist wohl selbstverständlich, daß für die Mitglieder des beth-din in der Quaderkammer derselbe Grad der Familienreinheit gefordert wurde, wie für die eines 23gliedrigen Kriminalgerichtshofes; besonders da sich das beth-din mit der Feststellung der makellosen Abkunft der Priester befaßte und nicht selber mit einem Makel behaftet sein durfte. Was die Thorarolle im inneren Tempelvorhofe betrifft, vgl. Rabbinowicz zu b. Moed kat. 18p p.‎ 31a Note 8 und Grätz, Geschichte III 110, 3, wo es für Tos, Tohar. heißen soll Tos. Kelim 2 V 8.
60) Der König und der Hohepriester sind auch in b. Synhedr. 18b genannt: der König kann nicht Mitglied des Synedrions sein und an der Intercalation kann weder der König, noch der Hohepriester sich beteiligen. Handelte es sich hier um das Synedrion, so wäre der Widerspruch gegen Josephus und die Evangelien, die den Hohenpriester als den Vorsitzenden des Synedrions vorführen, unlösbar. In Wahrheit aber ging die Ordnung des Kalenders, wie wir sehen werden, nicht vom Synedrion, sondern von einer anderen Behörde aus, s. S. 74.


und mittelbar auch auf die uns beschäftigende Tempelbehörde einiges Licht zu werfen. Josephus (Antiquit. XX 8, 11, 189 ff.) erzählt, daß Agrippa II in der ehemaligen Burg der Hasmonäer ein neues Gebäude errichtete, von dem aus er die Vorgänge im Tempel beobachten konnte. τῶν 'Ἱεροσολυμιτῶν οἱ προύχοντες sahen, gerieten sie in Unwillen, weil es weder dem väterlichen Brauche entsprach, noch gesetzlich zulässig war, die Vorgänge im Tempel zu beobachten, besonders nicht die Opferhandlungen. Deshalb ließen sie oberhalb der Säulenhalle, die sich im inneren Vorhofe gegen Westen befand, eine hohe Mauer aufführen. Als der Landpfleger Festus aus militärischen Gründen die Abtragung dieser Mauer forderte, ging mit seiner Erlaubnis eine Gesandtschaft bestehend aus den zehn vornehmsten Bürgern nebst dem Hohenpriester Ismael und dem Schatzmeister Helkias an den Kaiser Nero. Aus diesem Vorgange ergibt sich, daß nicht die Priesterbehörde über den Tempel und seine Anlagen wacht, aber auch nicht das oben ermittelte beth-din in der Quaderkammer, sondern die Vornehmen Jerusalems allein sich der Verletzung der Heiligkeit des Tempels widersetzen; es wäre denn, daß diese beiden Behörden hier nur deshalb fehlen, weil sie mit dem Vorgehen des Königs einverstanden waren oder dasselbe zum mindesten nicht mißbilligten. Die Vornehmen, die gegen Agrippa II auftreten, könnten mit den sonst ἄρχοντες genannten Würdenträgern identisch sein, da diese in Bell. II 16, 1, 333 als οἳ τῶν 'Ιεροσολυμιτῶν ἄρχοντες bezeichnet werden. Da es als natürlich anzunehmen ist, daß die Gesandten aus der Mitte der eingreifenden und von Festus zur Verantwortung gezogenen προύχοντες gewählt wurden, so gehören scheinbar auch der Hohepriester und der Schatzmeister des Tempels zu denselben, was dann die das Heiligtum hier vertretende Behörde als das Synedrion erwiese. Aber dagegen spricht entschieden der Wortlaut der Meldung bei Josephus: πέμπουσιν ἐξ αὑτῶν πρὸς Νέρωνα τοὺς πρώτους δέκα καὶ Ἰσμάηλον τὸν ἀρχιερέα καὶ 'Ελκίαν τὸν χαξοφύλακα, daß die Vornehmen durch die zehn Angesehensten vertreten waren und nur, weil es sich um eine Tempelangelegenheit handelte, der Gesandtschaft auch die beiden höchststehenden Priester beigegeben wurden, wie sie auch gesondert genannt sind. Denn sie waren in der Tat die ständigen Vertreter des Heiligtums, da sie nach Antiquit. XV 11, 4, 498, XVIII 1, 3, 93 vor jedem Feste, als das von der römischen Behörde verwahrte hohepriesterliche Gewand abgeholt werden mußte, sich zum Vertreter des Prokurators in Jerusalem begaben, um ihr Siegel, das sie auf den Eingang des betreffenden Gebäudes in der Antonia gelegt hatten, zu lösen und es bei der Ablieferung des Gewandes wieder anzulegen.61 Die Scheidung der Gesandtschaft in zwei Gruppen scheint mir auch durch das auffallende Ende derselben bestätigt. Als nämlich durch den Einfluß der Kaiserin die Entscheidung Neros zu Gunsten der Bittsteller dahin erfolgte, daß die gegen die Neugierde Agrippas errichtete Mauer stehen bleiben dürfe, läßt die Kaiserin die zehn Vornehmen heimkehren, behält aber den Hohenpriester Ismael und den Schatzmeister des Tempels Helkias als Geiseln in Rom zurück. Diese Meldung klingt ganz unverständlich, da ja die Kaiserin, die selbst die Entscheidung im Sinne der Gesandten erwirkt hatte, keine Veranlassung zur Zurückhaltung von Geiseln haben konnte. Erst wenn wir annehmen, daß die beiden hohen Würdenträger des Tempels und die Kreise der Priesterschaft, die sie vertraten, gegen die Erhaltung der Mauer und für den Standpunkt Agrippas und des Landpflegers eingetreten sind, wie sie offenbar von diesen beiden zum Anschlusse an die abgehende Gesandtschaft veranlaßt worden waren, wird das Vorgehen der Kaiserin klar. Die Angaben über den Hohenpriester Ismael im Talmud bestätigen diese Stellungnahme desselben. Er wird in b. Peßach. 57a als Sohn des eifernden Priesters Pinchas bezeichnet und verherrlicht. Und aus Tos, Para III 6 erfahren wir, daß er anfangs an der sadducäischen Opferweise bei der Verbrennung einer roten Kuh festgehalten, schließlich aber unter dem Einflusse der pharisäischen Lehrer deren Auffassung
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61) Vgl. Schürer II 271, 52, der noch darauf hinweist, daß eine bauliche Veränderung am Tempel vom Volke und von den Hohenpriestern beschlossen und von Agrippa II ausgeführt wurde (Bell. V 1, 5, 36). Schürer sieht hierin die politische Behörde neben der priesterlichen. Aber der Bericht von einem ähnlichen Falle in Antiquit. XX 9, 7, 219 ff. zeigt, daß es sich einzig und allein um eine Kundgebung der Bevölkerung von Jerusalem, nicht um die einer Behörde handelt. das Volk aber nur aus Rücksicht auf die große Zahl der Arbeitslosen, die bisher beim Tempelbau beschäftigt waren, den König anging, die Osthalle des Heiligtums zu restaurieren. Da die Mittel zum Baue aus dem Tempelschatz genommen wurden, über den der König allein kraft des ihm von den Römern verliehenen Aufsichtsrechtes verfügte, so hing in dieser Frage alles von Agrippa II ab.


betätigte; und dieses hat ihm offenbar das Lob der talmudischen Nachrichten eingetragen. Da er an der genannten Gesandtschaft während der letzten Tage seiner hohenpriesterlichen Wirksamkeit sich beteiligt, sonach bereits als Anhänger der Pharisäer, ist auch sein Standpunkt hinsichtlich des von Agrippa aufgeführten Gebäudes klar zu beurteilen; er ist für den König, der gegen die Vornehmen kämpft, die schon ihrer Stellung nach, προύχοντες τῶν 'Ἱεροσολυμιτῶν als Sadducäer zu gelten haben. Die Pharisäer hatten nicht nur nichts dagegen einzuwenden, sondern strebten auch darnach, daß der von den Priestern verrichtete Tempeldienst offen und sichtbar sei und das Laienelement, soweit nur zulässig, sich ihm nähere; sie fanden demzufolge nichts Anstößiges an der Beobachtung des Opferdienstes von seiten des Agrippa, die an sich ganz harmlos war. Haben wir ja bereits gesehen, daß sich der König in Fragen, die über den Tempel an ihn als dessen Verwalter herantraten, mit der befugten Behörde beriet, die damals nicht aus Sadducäern bestanden haben dürfte (Seite 22). In den Vornehmen, die sich gegen ihn für die Heiligkeit des Tempels einsetzen, haben wir sonach nicht die Leiter des Heiligtums,62 sondern die Vertreter der damals in die Verteidigung gedrängten Sadducäer zu sehen, die aus prinzipiellen Gründen und nicht als die amtsbefugten Sachwalter gegen die angeb
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62) Im Berichte des Josephus über Alexander den Großen (Antiquit. XI 8, 2, 306) sehen wir οἱ δὲ τῶν Ἱεροσολυμιτῶν πρεσβυτέροι δεινοπαϑοῦντες ἐπὶ τῷ τὸν ᾿Ιαδδοῦ τοῦ ἀρχιερέως ἀδελφὸν ἀλλοφύλω συνοικοῦντα μετέχειν τῆς ἀρχιερωσύνης ἐστασίαζον πρὸς αὐτόν, daß die Ältesten der Jerusalemer sich um die Angelegenheiten des Tempels kümmern. Sie stellen an Manasses, den Bruder des Hohenpriesters, die Forderung, entweder sein Weib zu entlassen, oder nie mehr dem Altar zu nahen; der Hohepriester stimmt dem Volke bei. Hieraus wäre zunächst ersichtlich, daß die Ältesten Jerusalems und das Volk identisch sind und daß sie über die Ehre der Priester und die Heiligkeit des Tempels wachen. In Wahrheit aber liegt nicht eine Angelegenheit des Tempels vor, die sie hier vertreten, sondern die des ganzen Isralitentums; so daß schon aus diesem Grunde keine Schlüsse aus dem Vorgange gezogen werden dürfen. Und abgesehen hiervon ist es fraglich, ob man diesem, in keinem Teile zuverlässigen Berichte gerade in dieser Einzelheit Genauigkeit zutrauen darf. Hiermit ist auch die Meldung in II Makkab. 4, 44 zu verbinden, wonach die Anklage gegen Menelaos bei König Antiochos IV von drei Mitgliedern der Gerusia in Jerusalem erhoben wird; denn auch diese bildet die politische Vertretung des ganzen Volkes vor dem Könige und nicht bloß die des Tempels.


liche Entweihung des Tempels auftreten. Keinesfalls kann dieser von Josephus geschilderte Vorgang als Beweis gegen das Ergebnis unserer Untersuchung, daß die Erweiterung des heiligen Gebietes auch Sache des beth-din in der Quaderkammer war, angeführt werden.
In allen Fällen, wo wir das beth-din von 71 Mitgliedern in den talmudischen Berichten prüfen und als der Wirklichkeit entsprechend erkennen konnten, ist nach den bisherigen Untersuchungen das große beth-din in der Quaderkammer gemeint.
Dieses hat die des Ehebruches bezichtigte Frau einvernommen und zum Trinken des Prüfungswassers verurteilt, bei Auffindung eines Ermordeten durch Messung die Stadt bestimmt, die das Sühnopfer darzubringen hatte, über die Verbrennung der roten Kuh die erforderlichen Verfügungen getroffen, den Widerspruch des dem Gesetze Widersprechendes vortragenden Lehrers festgestellt, wahrscheinlich bei der Einführung des Hohenpriesters und des Königs in den ihnen zustehenden religiösen Wirkungskreis und vielleicht auch bei der Erweiterung des heiligen Stadtegebietes und der Tempelvorhöfe mitgewirkt. Es sind, wie man sieht, ausschließlich Punkte, die den Opferkult und das mit dem Tempel und dem geweihten Gebiete Jerusalems zusammenhängende religiöse Handeln betrafen und bei denen das Synedrion, das wir bloß als den obersten Gerichtshof für Strafsachen und als politische Behörde kennen, nichts zu tun haben konnte. Es ist dieses eine Erkenntnis, die das Ergebnis unserer Untersuchung über das beth-din in der Quaderkammer in allen seinen Einzelheiten bestätigt.63


3. Die Befugnisse des beth-din in der Quaderkammer.

Im Sifre zu Deut. 17, 8ff. und in den Parallelberichten im Talmud wird die Behörde, vor die nach der Vorschrift der Thora schwierige Fragen gebracht werden, das beth-din in der...
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63) Herr Lektor Friedmann machte mich auf die bereits von Reifmann, ‏הסנהדרין‎ 39 verzeichnete Stelle in der Agadath Bereschith Cap. XIV Ende aufimerksam, wo ausgeführt wird, daß der Prophet ‘Obadja und Jeremia erst, nachdem ihnen das 71gliedrige Synedrion die Erlaubnis erteilt hatte, wirkten; diese hätte auch zurückgenommen werden können. Ist auch dieser Midrasch jung und findet sich zu dieser Stelle keine Parallele, so kann doch eine ältere Quelle zugrunde liegen. Zu unserer Darlegung stimmt es sehr gut, daß der Prophet, der im Namen Gottes spricht, vor dem beth-din in der Quaderkammer seine Beglaubigung erhält.