KAP. 32. WAJISCHLACH - בראשית לב וישלח von Rabbi Samson Raphael Hirsch

4. Jaakob schickte Boten vor sich her zu seinem Bruder Esaw, nach dem Lande Seir, dem Gefilde Edom’s, 5. und befahl ihnen also: So sollt ihr Esaw, meinem Herrn, sagen: also hat dein Diener Jaakob gesprochen: Bei Laban habe ich als Fremdling geweilt und bin bis jetzt dort zurückgehalten worden. 6. so ward mir Ochs und Esel, Schaaf und Knecht und Magd; ich habe gerne geschickt dies meinem Herrn mitzutheilen, um Gunst in deinen Augen zu finden. 7. Die Boten kehrten zu Jaakob zurück und sagten: Wir sind zu deinem Bruder, zu Esaw, gekommen; er geht dir auch entgegen; aber vierhundert Mann sind mit ihm! 8. Da fürchtete sich Jaakob sehr und es war ihm Angst. Er theilte die Leute, die er bei sich hatte, und so auch die Schaafe, die Rinder und die Kameele zu zwei Lagern, 9. und sprach: Kommt Esaw zu dem einen Lager und schlägt es, so wird das übrige Lager der Rettung werden. 10. Darauf sprach Jaakob: Gott meines Vaters Abraham und Gott meines Vaters Jizchak, Gott, der zu mir spricht: Kehre zu deinem Lande und deinem Geburtsorte zurück, so werde ich dir Gutes erzeigen, — 11. ich bin schon zu geringe gegen alle die Wohlthaten und all die Treue, die du bereits an deinem Diener geübt; denn mit meinem Stecken habe ich diesen Jarden überschritten, und jetzt bin ich zu zwei Lagern geworden, — 12. rette mich doch von der Hand meines Bruders, von Esaw’s Hand; denn ich fürchte ihn, daß er nicht komme und mich, die Mutter sammt den Kindern erschlage; 13. und du hast es doch gesagt: Gutes, Gutes will ich dir erzeugen, so daß ich deine Nachkommen wie Sand des Meeres werde werden lassen, der vor Menge nicht gezählt werden kann. 14. Dort blieb er in dieser Nacht und nahm von Dem, was er in Händen hatte, ein Geschenk für seinen Bruder Esaw: 15. Zweihundert Ziegen und zwanzig Böcke, zweihundert Schaafe und zwanzig Widder, 16. dreißig säugende Kameele mit ihren Jungen, vierzig Kühe und zehn Stiere, zwanzig Eselinnen und zehn Füllen. 17. In getrennten Heerden übergab er es seinen Knechten und sprach zu seinen Knechten: Geht vor mir her und lasset einen Zwischenraum zwischen Heerde und Heerde. 18. Er befahl dem Ersten also: Wenn dich mein Bruder Esaw trifft und fragt dich also: Wessen bist du, und wohin gehst du, und wessen sind alle die vor dir Gehenden? 19. So sagst du: Deines Dieners Jaakob , es ist ein Esaw , meinem Herrn, gesendetes Geschenk, und siehe auch er selbst folgt hinter uns. 20. So befahl er auch dem zweiten und dritten, und allen Denen, die hinter den Heerden gingen: in dieser Weise sprechet zu Esaw wenn ihr ihn treffet, 21. immer saget: siehe, auch dein Diener Jaakob ist hinter uns! Denn er dachte, ich möchte erst seinen Zorn mit dem mir vorangehenden Geschenke beschwichtigen und dann sein Angesicht sehen, vielleicht wird er mein Angesicht erheben. 22. So zog das Geschenk vor ihm her, er aber blieb in dieser Nacht wach im Lager. 23. Da stand er auf in der Nacht, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde und seine elf Kinder und überschritt die Furth des Jabbok. 24. Er nahm sie nemlich und führte sie über den Fluß; und brachte das Seine hinüber. 25. Uebrig blieb Jaakob allein, da rang Jemand mit ihm bis der Morgen heraufzog. 26. Er sah, daß er an ihn nichts vermochte, so griff er an den Ballen seiner Hüfte; da wich Jaakob’s Hüftballen indem er mit ihm rang. 27. Da sprach er: Entlasse mich, denn der Morgen ist heraufgezogen. Er aber sprach: ich entlasse dich nicht, du habest mich denn gesegnet. 28. Da sprach er: Was ist dein Name? Er sprach: Jaakob. 29. Da sprach er: Nicht Jaakob soll mehr dein Name gesprochen werden, sondern Jisrael; denn du bist bei Gott und bei Menschen der Ueberragende geworden, da du vermocht hast. 30. Jaakob fragte darauf und sprach: Sage mir doch deinen Namen. Er aber sprach: Wozu dies, daß du nach meinem Namen fragst? Und er segnete ihn dort. 31. Jaakob nannte den Namen des Ortes Peniel; denn ich habe Göttliches gesehen von Angesicht zu Angesicht und mein Wesen ist unversehrt geblieben. 32. Die Sonne ging ihm auf als er Penuel vorüber war, und er hinkte auf seiner Hüfte. 33. Darum sollen Jisrael’s Söhne nicht die Sehne der Schwäche essen, welche am Hüftballen ist, bis auf diesen Tag; denn er hat an Jaakob’s Hüftballen an die Sehne der Schwäche gegriffen.


V. 5, 6. Wir haben oben gesehen, aus welchen Gründen Jakob arm aus dem väterlichen Hause fortgegangen war, und wenn er jetzt reich zurückkehrt und zumal Esau auch nicht mehr zu Hause ist, lag das Bedürfniß sehr nahe, dem Esau sagen zu lassen, daß, und wie er Alles erworben. In drei Worten sagt er Esau das ganze Bittere und Prüfungsvolle seiner Vergangenheit Fremd und unberechtigt sein ist überall hart, bei einem Laban sein unter allen Umständen eine harte Prüfung, ‏,עם לבן גרתי als Fremder bei einem Lab an seine Tage zu bringen, vergegenwärtigt das bitterste Loos. ‏אחר עד עתה‎ und nicht aus Wohlbehagen, sondern gezwungen war ich, so lange zu bleiben. Ich wäre gerne früher gekommen. Allein bis vor sechs Jahren hatte ich nur Frauen und Kinder, aber noch nicht den ersten eigenen Groschen erworben. Auf diesem harten, wenig beneidenswerthen Wege zwanzigjähriger Mühen bin ich zu dem gelangt, was ich habe. Ich habe es für Recht gehalten, dich dies wissen zu lassen, damit — dieses lange Leid Sühne für Vergangenes, und mein jetziger Wohlstand selbst mein Fürsprecher bei dir sein möge.

V. 8. Wir können uns sehr wohl in Jakob’s Lage versetzen, und müssen dies um so mehr, je bedeutsamer diese Begegnung ist, in deren Folge Jakob eine Offenbarung wurde, welche das göttliche Gesetz dem Jakobsvolke zur ewigen Erinnerung in das tägliche Mahl verwebte.

Wie Jakob und Esau hier einander gegenübertraten, so stehen sich bis auf den heutigen Tag Jakob und Esau gegenüber. Jakob: der dienende, arbeitende, sorgenerfüllte, mit Familiengliedern gesegnete Familienvater. Esaw: der »fertige, gemachte« Mensch. Was Jakob trotz des erhaltenen Segens und der erhaltenen Erstgeburt fast durch zwanzig mühevolle Jahre hatte erringen und erkämpfen müssen und nun als das größte Loos, als die größte Errungenschaft mit heimbrachte: selbstständiger Familienvater sein zu können, das ist Andern die von der Wiege an mitgegebene natürlichste Voraussetzung, das hatte Esaw, »der fertige, gemachte« Mensch, schon, als Jakob erst auszog, in vollem Maaße besessen; und während Jakob mit seiner Arbeit das Glück errang, Familienvater zu sein, war Esau inzwischen eine politische Größe, war Volks-Heerführer, ein ‏אלוף‎ mit seinen Reisigen geworden. So der äußere Gegensatz des »Fersenhalters« und des »Gemachten«.

Zwei Prinzipien sind’s, die sich in Jakob und Esau begegnen und deren Kampf und Sieg die Weltgeschichte bedeutet. Das menschlich beglückende und beglückte Familienleben in Jakob, der Glanz politischer Macht und Größe in Esau. Jahrtausende herab gilt’s dem Kampfe: ob es genüge, Mensch zu sein, und alle sociale und politische Macht und Gestaltung nur Werth habe als Mittel dieses Höheziel aller Menschenbestrebungen zu erreichen; oder ob alles Menschliche im Menschen, Haus und Familienleben, nur da sei, um den Trophäen der Politik ec. ec. zum Unterwurf zu dienen.

Und wie ganz anders ist Jakob dem Esau gegenüber, als eben dem Laban. Wir erkennen, welche Kraft das Bewusstsein der Unschuld giebt, und welch’ ein drückendes Gefühl selbst auch nur aus dem Anschein einer Verschuldung erwächst. Zwanzig Jahre Kampf gegen unschuldig zu erleidendes Unrecht schlagen nicht so nieder, als Eine Minute einem Menschen gegenüber, von dem wir wissen, daß er sich durch uns gekränkt fühlen muß und die Motive, die uns, wenn auch nicht rechtfertigen, doch entschuldigen können, gar nicht einzusehen vermag!

Jakob fürchtete, obgleich ihn die Schutz zusagende Gottesverheißung geleitete; ‏,מכאן‎ ‎bemerkt das lehrende Wort der Weisen; ‏הבטחה לצדיקים בע”הז‎ שאין, es giebt keine unbedingte Zusicherung dem Frommen in diesem Leben. Eine jede ist durch fortdauernde Untadelhaftigkeit bedingt, eine jede kann in jedem Augenblick durch einen Fehltritt verscherzt werden; ‏,שמא יגרום החטא‎ das ist die Besorgniß, die aus der Brust der erwähltesten Frommen nie weicht. — ‏ויצר לו‎ ist der Form nach von ‏,יצר‎ nicht von ‏צרר‎ oder ‏,צור‎ ‎dem gewöhnlichen Ausdruck für Noth und Bedrängniß. ‏,יצר‎ das verstärkte ‏,יסר‎ binden, heißt: bilden, formen. Alles Bilden ist ein Beschränken des Stoffes in ein durch den Zweck gegebenes Maaß. Sind doch diese Begriffe so verwandt, daß wir auch bilden durch ‏צור‎ ausgedrückt finden: ‏ויצר אותו בחרט‎ 2. B. M. 32, 4. und ‏צירה‎ geradezu: Form heißt. Vielleicht ist es ein Unterschied, ob Noth durch ‏צור‎ oder durch ‏יצר‎ ausgedrückt wird. ‏צר‎ ‎ist die äußere Beschränkung unseres Kreises, so daß wir uns nicht mehr frei bewegen können. Sie lässt unser inneres Wesen unangetastet. Ihr Gegensatz ist ‏,מרחב‎ die Weite. ‏יצר‎ aber wäre eine solche beengende Gestaltung der Verhältnisse, daß wir ihrer Obmacht als völlig willenloser Stoff zur Beute fallen. Sie gewinnen eine solche Obermacht über uns, daß sie aus uns machen können, was sie wollen. In solcher Lage fühlte sich Jakob damals Esau gegenüber, und das ist die Lage, in der wir uns Jahrhunderte herab den Esau-Völkern gegenüber befanden. Es ist das jener Zustand, den die Galuth-Verkündung ‏חמת קרי‎ (3. B. M. 26, 28.) »Wüthen des Zufalls« nennt, daß unser Heil, unser Leben, unser Fortkommen nirgends das Beabsichtigte, Maßgebende war, sondern sich den Zwecken aller Uebrigen als das Unberechtigte hingeben und sich mit dem begnügen musste, was als Abhub von der Glückstafel der Andern uns zufällig zufiel. ‏ויצר לו‎ sagte demnach: Jakob fühlte, daß er der Willkühr des an der Spitze einer bewaffneten Macht gegen ihn heranziehenden Esau völlig preisgegeben sei, und, um doch Etwas zu retten — theilte er. So war auch unsere Zerstreuung im Galnth das Mittel unserer Erhaltung und Rettung. Nie und nirgends konnte uns Esau’s Schwerdt auf einmal erreichen. Während wir am Rhein bluteten, waren unsere Brüder im Slavenreiche glücklich, und umgekehrt. ‏צדקה עשה ה’’בה לישראל שפזרן לבין האומות‎ (Pesachim 87 b). Dasselbe that Jakob im Drange der Noth.