Abschnitt 17. Das Gericht soll die beiden Parteien in jeder Hinsicht gleichhalten. Du sollst deinen nächsten mit Gerechtigkeit richten. (3. B. M. 19, 15)

§ 1. Der Richter soll den einen nicht lange sprechen lassen und zu dem anderen sagen: Mache es kurz! Oder den einen freundlich und den anderen hart anreden, sondern man sagt vielmehr zu dem sehr schön gekleideten (wenn der Gegner sehr schlecht gekleidet ist): Entweder kleide deinen Gegner, wie du gekleidet bist, oder kleide du dich, wie er gekleidet ist! (Wahrscheinlich damit der Richter durch die Kleidung nicht verblendet werde, oder auch der schlecht Gekleidete nicht dadurch in Verlegenheit komme oder seine Sache nicht gehörig verteidigen könne.) (Ist aber jetzt, nach dem Beerhetib, nicht mehr gebräuchlich, es müsste denn jemand ein Kleid anhaben, das über hundert Jahre alt ist!) Auch darf man nicht den einen stehen und den anderen sitzen lassen, sondern beide müssen stehen; doch steht es auch dem Gerichte frei, beide sitzen zu lassen, aber nicht den einen obenan und den anderen unten zu platzieren, sondern einen neben dem anderen; wenn aber das Urteil gesprochen wird, wenn es heißt: Du bist schuldig und du unschuldig! Müssen beide aufstehen; die Zeugen müssen immer stehen (doch können sie sich dabei anlehnen!).

§ 2. Wenn aber von beiden ein Gelehrter ist, lässt man ihn sitzen; dem Ungelehrten sagt man zwar auch: Setze dich! Man dringt aber nicht weiter deshalb in ihn.

§ 3. Nach der Schließung des Talmuds ist aber schon längst der Gebrauch eingeführt, dass man sowohl die Parteien als auch die Zeugen sitzen lässt, um Gezänk zu vermeiden; denn wir haben doch nicht die Macht, das Gesetz auf seine rechte Höhe zu stellen.

§ 4. Sind viele Kläger gegen einen Beklagten und dieser sagt: Meine Freunde und Verwandten sollen bei mir sitzen, wenn ich mich verteidige, damit ich nicht verlegen werde! So hat er darin recht; daher darf von den Klägern nur einer für alle oder einer nach dem anderen sprechen, dann darf auch der Beklagte niemand bei sich haben.

§ 5. Der Richter darf den einen nicht ohne des Anderen Gegenwart anhören. Ein Schüler, der vor seinem Lehrer einen Prozess hat, darf nicht früher als der andere erscheinen, damit es nicht das Ansehen habe, dass er seine Einwendungen früher als dieser vor seinem Lehrer ordnen wolle.

§ 6. Wenn der Richter die Sprache beider versteht, so darf er sich keines Dolmetschers bedienen.

§ 7. Der Richter muss die Einreden von beiden wiederholen (nach 1. B. d. K. 3, 23, das bekannte Urteil Salomons).

§ 8. Ein Richter, der ein Urteil gesprochen und dem das Herz dabei klopft (er zweifelt, ob er recht gesprochen hat), soll nicht mit Gewalt sein Urteil durch zweifelhafte Beweise bestärken wollen, weil er sich schämt, dasselbe zu widerrufen, sondern er soll lieber suchen, die Sache noch mal von allen Seiten zu betrachten und auf die Wahrheit zu kommen. Der Richter soll keiner der Parteien als Vorsprecher dienen, sondern er soll sie allein sagen lassen, was sie wollen und dazu schweigen; z. B. wenn eine von ihnen einen Zeugen für ihre Sache gebracht, so soll er nicht sagen: In Geldsachen gilt ein Zeuge nicht! Sondern warten, bis dies der Gegner sagt usw.

§ 9. Sieht der Richter für einen von beiden einen Vorteil und sieht er, dass dieser auch im Begriffe ist, sich desselben zu bedienen, er kann aber die gehörigen Worte nicht im Zusammenhange hervorbringen, oder sieht er, dass der Beklagte sich quält, sich durch wahre Einwendungen zu retten, aber der Zorn und die Wut lassen ihn nicht zur Sprache kommen usw., so kann ihn der Richter unterstützen und ihm auf dem Wege helfen, aber er muss sehr sinnig hierbei zu Werke gehen, dass er nicht parteiisch erscheine.

§ 10. Der Richter darf bei Gericht mit dem Armen kein Mitleid haben und nicht denken, weil er arm und sein Gegner reich ist, so wolle er jenem das Recht zusprechen; auch darf er den Reichen und Gelehrten nicht schonender behandeln als den Armen und Ungelehrten, und nicht denken, er wolle ihm jetzt das Recht zusprechen (wenn es auch nicht auf seiner Seite ist, um ihn nicht zu verletzen) und dann dem Reichen allein sagen, dass er unrecht habe und dem Armen bezahlen solle, sondern er soll gleich unerschrocken das wahrhafte Urteil fällen; wenn einer von beiden im Rufe eines unredlichen Menschen und Lügners ist, so darf er doch keine Rücksicht darauf nehmen, sondern er muss beide für schlecht halten und das Urteil nach seiner Einsicht, nach ihren Aussagen fällen; hat er sie aber entlassen und sie haben kein Urteil angenommen, dann muss er sie beide wieder als rechtliche Männer ansehen und nur Gutes von ihnen sprechen.

§ 11. Sobald dem Richter die Sache klar geworden ist, muss er sofort das Urteil sprechen.

§ 12. Wenn jemand einen verklagt um eine Summe Geldes und der Richter sieht ein, dass er ihm weit mehr schuldig ist, so darf der Richter keine Notiz davon nehmen.