Im Vaterhause Lord Beaconsfield oder Benjamin Disraeli von Rabbiner Adolf Jellinek

Am 19. April um 5 Uhr Morgens starb im 77. Lebensjahre Lord Beaconsfield oder Benjamin Disraeli, wie er am 21. Dezember 1804, dem 8. Tage nach seiner Geburt, genannt wurde. sein Hinscheiden beschäftigt die europäishe Presse; denn er stand im Vordergrunde der weltgeschichtlcihen Ereignisse der letzten Jahre und war ein Gegner Rußlands, was ihm die sympathien aller liberalen Männer in Europa erwarb. Auch diese Blätter, für welche wir schreiben, obwohl sie ausschließlich jüdischen Interessen gewidmet sind, müssen dem Leben dieses merkwürdigen Sohnes ves jüdischen Stammes, dem kaum ein zweiter Name aus der jüdischen Geschichte während der Zerstreuung der Kinder Israels an die Seite gesetzt werden kann, einen Platz widmen und die Betrachtung zuwenden. Gewiß regt Benjamia Disraeli in jedem denkenden Bekenner des Judenthums die Reflexion an, wie viele große jüdische Talente im Laufe der Jahrhunderte, durch Christliche Unduldsamkeit zum Schaden der Nationen nicht verwerthet werden konnten, und wie viel hohe Begabung in den finstern Zeiten des Mittelalters nicht zur Entfaltung gelangte, weil ihre Besitzer an den einen und nicht an den dreieinigen Gott glaubten. Die Unterdrückung der Juden hat dem jüdischen Stamme großes Wehe und unsägliches Leid bereitet und den Völkern Kräfte entzogen, die auf den verschiedensten Gebieten des Lebens heilsam, fördernd und fruchtbringend benutzt werden konnten.
Allein diese Reflexion wäre ein geringer Tribut, den wir dem Genius und dem großartigen Wirken Beaconfield's darbrächten. Seine außergewöhnliche Persönlichkeit und sein scharfmarkirtes Verhältniß zu den Juden und dem Judenthum sind es, die selbst ein nichtpolitisches Blatt auffordern und verpflichten, seinen Charakter und seine ethnologisch-religiösen Anschauungen zu studiren, zu prüfen und zu würdigen.
Benjamin Disraeli schwärmte einst für das heilige Land und dessen einstige Hauptstadt mit derselben romantischen Glut, wie der berühmte Landsmann seiner Vorfahren, wie der Dichter und Denker Juda ha Lewi. sein zersetzender und kritischer Scharfsinn, der feine Spott, von welchem er in seinen Reden oft Gebrauch machte, und der einst dem großen Robert Peel eine tiefe, unheilbare Wunde versetzte, erinnert an den Kritiker und Satyriker in der spanischen Heimat seiner Väter, an Abraham Ibn Esra. Wäre er vor Jahrhunderten in Spanien geboren worden, er hätte wahrscheinlih auch in einer elegischen Zionide der schwärmerischen Sehnsucht nach den heil. Stätten der Propheten und Psalmisten poetischen Ausdruck verliehen oder auch die kritische Sonde an Bestandtheile der hebräischen Literatur angelegt. Die fortgesetzte Verherrlichung des Stammes, welchem er entsprossen, bildet einen Hauptzug seines Charakters, kleidet sich bald in das Gewand der Dichtung und erscheint bald als Episode in eminent staatspolitischen Schriften.
In den verschiedensten Phasen seines Lebens ist er der Lobredner des jüdischen Volkes, zählt er die welthistorischen Verdienste auf, die es sich erworben und fordert für sie Achtung, Anerkennung und Erlösung von der Schmach, mit welcher christliches Vorurtheil es bedeckte. Kaum hat ein Jude in solchen begeisterten Worten und in solcher glühenden Rede die Hoheit der jüdischen Ethik und die weltgeschichtliche Bedeutung des jüdischen Volkes geschildert, wie dieser politische Führer der stolzen englischen Aristokratie und der mächtige Minister des großbritannischen Reiches.
Wer war sein Leiter und Lehrer auf diesem Wege? Unter wessen Auspizien und unter welchem Einflusse hat er seine Geschichtsphilosophie in religiöser und ethnologisher Beziehung sich construirt? Gewiß hatten seine eigene Lebensgeschichte, sein politischer Ergeiz, sein kühnes Unternehmen, mitten in der englischen Aristokratie eine hervorragende Rolle zu spielen, ihn, den Sohn eines Juden, genöthigt, dem jüdischen Stamme einen hohen Platz in der Construction der Weltgeschichte zu erkämpfen, so hoch, daß er die Position der angelsächsischen und normännischen Aristokraten überragte. Denn schwer ist es, die Ideen eines Menschen chemisch zu zerlegen und zu zeigen, was in denselben individuell mit den Trieben und Lebensbedingungen ihres Urhebers auf's innigste verschmolzen ist, und was sie Ueberlieferungen, Studien, Forschungen und Reflexionen zu danken haben. Gewiß ist auch, daß das Bemühen Benjamin Disraeli’s, den Beweis zu führen, daß die gegenwärtigen Juden in den verschiedenen Welttheilen gar nicht die Sprößlinge jenes Pöbelhaufens sein können, welche an dem Tode Christi schuld sind, daß sie vielmehr von den Hebräern, welche zur Zeit Christi außerhalb Palästina's lebten oder von den zehn Stämmen des Reiches Israel abstammen, ein diplomatischer, mit den Vorurtheilen der Engländer rechnender Kunstgriff ist, um jene christliche Dogmatik zu erschüttern, der zu Folge die Nachkommen derer, welche den Tod Jesu verlangten, verdammt sein müssen.*)
Dieser Kunstgriff erinnert an die fingirten Briefe, welche die Weisen Jerusalems zur Zeit Christi an die Juden in Worms geschrieben hätten, um sie zu befragen, welches Loos den angeblichen Messias treffen solle. Durch diese Fiction sollte der Beweis erbracht werden, daß die Wormser oder deutschen Juden an dem Tode Jesu ganz unschuldig wären. Allein das fast überschwängliche Lob der Juden und der Verdienste des Judenthums um die Menschheit quillt aus den Tiefen der Ueberzeugnng Disraeli's hervor, ist nicht bloße Berechnung und kein Product der kalten Reflexion: Wer hat diese tiefe und unverwüstliche Ueberzeugung in ihm geweckt und genährt? Nur ein Mensch, der seinem Herzen nahe stand, der seinem Innern theuer und verwandt war: sein Vater!
Wir müssen die trauten Zwiegespräche belauschen, die sein Vater Isaak, der bis zum Jahre 1848 an seiner Seite war, mit ihm führte über Religionen und Nationen, über das Verhältniß
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*) O’Connell nannte einst Benjamin Disraeli in öffentliher Rede einen Nachkommen schlechter Juden, der die Eigenschaften des unbußfertigen Schächers besäße, der am Kreuze starb, und wahrscheinlich auch Disraeli geheißen habe. Vergleihe Georg Brandes' »Charakterbild Lord Beaconsfield's« Seite 133.


der ersteren und die Beziehungen der letzteren zu einander, über die Juden, die biblischen und nachbiblischen, deren Geschichte und Geschickke, um den Ursprung und die tiefliegenden Wurzeln seiner unveränderten Ueberzeugungen über die Hoheit und Erhabenheit der Hebräer unter den Semiten und des Judenthums unter den religiösen Bekenntnissen zu erkennen.
Und das wollen wir thun. Wir wollen Zeugen des intimen Verkehrs zwischen Vater und Sohn, zwischen Isaak und Benjamin sein, wollen die Auseinandersetzungen, Constructionen und Betrachtungen des Vaters anhören, um in der Seele des Sohnes lesen zu können. Bevor wir aber in das väterliche Haus Lord Beaconsfield’s eintreten, um uns dort die Ueberzeugung zu verschaffen, daß die Flamme der Begeisterung in dessen Herzen für Juden und Judenthum am väterlichen Herde entzündet und genährt ward, müssen wir die Ansichten desselben über den Werth des jüdischen Volkes im Kreise der Nationen und den fortdauernden Einfluß des Judenthums auf das Völkerleben aus seinen Schriften kennen lernen.


II.

Zwei Thesen bilden den Grundton in den wiederholten Aeußerungen Benjamin Disraelis über Juda und Judenthum.
Die erstere lautet: »All is race; there is no other truth«, »Die Race ist Alles; es gibt keine andere Wahrheit.«
Für die Entwickelung und Befestigung dieser These, nach welcher die Gleichheit der Menschen nur ein ethischer Lehrsatz der Religion ist , damit sie alle auf gleiche Rechte und gleiche humane Behandlung Anspruch erheben können, naturgeschichtlich und historisch aber nicht adoptirt werden kann, war und ist England der günstigste Boden. Wenn die Engländer in Asien und in Afrika große Reiche erobert und hunderte Millionen Menschen dem britischen Scepter unterworfen haben, so war es die Ueberlegenheit der Race, welche den Sieg davontrug. Indien, welchem Lord Beaconsfield eine englische Kaiserin zur Regentin eingesetzt, hat auch durch seine Sprache und Literatur auf die Racentheorie fördernd eingewirkt. Das Studium der Sanskritsprache und der ältesten Ueberreste der indischen Literatur, welches besonders in England eifrig betrieben wurde, eröffnete ganz neue Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Arier und führte allmälich zu der Bezeichnung: »Indogermanische Race.«
In Frankreich kämpften und schrieben Ernest Renan*) und Emile Burnouf**) für die Ueberlegenheit der arischen Stämme über die semitischen und verfechten immerfort den Satz, daß der
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*) Vergleiche seinen Vortrag: »De la part des peuples Sémitiques dans l’histoire de la civilization.« Paris 1862.
**) Vergleiche die lezten zwei Seiten seines Werkes: Essai sur le Vêda. Paris 1863.


arische Geist allein die Zukunft der Menschheit beherrschen und in den weltgeschichtlichen Wettkämpfen der Völker den sieg davontragen, während der semitische, beschränkt, ohne höhere, wissenschaftliche und künstlerische Begabung, ohne Originalität und ohne jeunen Skeptizismus, der zur Erforschung der Wahrheit und der Causalität in allen Erscheinungen anspornt, unterliegen wird.
In Deutschland, welches so vieler Mänuer sich rühmen kann, die zur Erkenntniß und tieferen Auffassung der arischen Welt durch linguistische und historische Arbeiten sehr viel beigetragen haben, is als bittere Frucht am Baume arischer Erkenntniß der Antisemitismus in der brutalsten und häßlichsten Form entstanden.
In dem protestantishen England aber, wo die Bibelgläubigkeit heimisch und das Alte Testament ein wahres Volksbuch ist, konnte die semitische Race, aus deren Mitte das Heil der Welt hervorging, durchaus nicht herabgedrückt und ihr eine untergeordnete Stellung in dem Haushalte der Völkergeschichte angewiesen werden. Es könnte daher nicht überraschen, wenn Benjamin Disraeli den geistigen Antisemitismus bekämpft hätte. Allein er war nicht bloß der schroffste und unversöhnlichste Gegner der Ansichten Renan's und des jüngeren Burnouf, sondern er wies den Semiten den ersten und höchsten Rang in der Stufenleiter der Racen und Stämme an und begnügte sich nicht bloß, die Vergangenheit der Semiten zu verherrlichen, sondern er trat auch für deren entscheidende Rolle in der Zukunft der Menschheit mit aller Entschiedenheit ein; das letztere war gleichsam eine Art messianischen Glaubens, an welchem er festhielt und der ihn auch in seinen kühnen, staatsmännischen Entwürfen leitete.
Die zweite These bezieht sich auf das Judenthum und lautet: »Christianity is Judaism for the multitude, but still it is Judaism«, »Christenthum ist Judenthum für die Menge, es bleibt aber immer Judenthum.«
Dieses popularisirte Judenthum führt in der Form des Christenthums das ethische Scepter über die civilisirten Nationen der alten und der neuen Welt und zwingt sie, einem Sohne Judas göttliche Verehrung zu zollen. Denn die christliche Moral ist mit der jüdischen identisch, wofür er in einer Weise plaidirt, daß man den spanier Moses ben Nahman zu hören glaubt, als er genöthigt ward, in Gegenwart des Königs Jakob von Arragonien im Jahre 1263 eine Religionsdisputation über Judenthum und Christenthum abzuhalten, »Die Männer« — läßt er eine jüdische Dame in dem Romane »Tancred« argumentiren, — »welche heut« zutage von der Moral des Evangeliums als von einer besonderen, durch neue Offenbarung entstandenen Sittenlehre sprechen, würden wohl daran thun, zu begreifen, welche gefährlichen Irrthümer sie verbreiten. Es können nicht zwei Sittenlehren existiren, und die Behauptung, daß die zweite Person der heiligen Dreieinigkeit eine Moral hätte lehren können, die von der verschieden war, die schon von der ersten Person offenbart worden, ist ein so entsetzliches Dogma, daß man es vielleicht als die unaussprechlichste Sünde gegen den heiligen Geist betrachten kann. Als der Schriftgelehrte Jesus in Versuchung führte und ihn fragte, was er thun solle, um das ewige Leben zu gewinnen, verwies der große Meister Galiläa's ihn auf die Bücher Moses; da würde er Aufklärung über alle seine Pflichten finden.«
Auf diesen beiden Thesen ruhen seine ethnologischen, geschichtsphilosophischen und religiösen Anschauungen, diese variirt er, entwidelt er und erweitert er bald in dichterischer Form in seinen Romanen, indem er den dort redenden Personen seine Plaidoyers für die Präeminenz Juda's und des Judenthums in den Mund legt, und bald in einer politischen Schrift, in welcher er nicht die Maske einer Dame vornimmt, um sich seiner Stammgenossen als ein gewandter und begeisterter Sachwalter anzunehmen und ihre erhabene Position in der Weltgeschichte zu vertheidigen, sondern mit offenem Visir als Mann der hohen Politik für die Söhne Juda's, deren Ruhm in der Vergangenheit und deren Gleichberechtigung in der Gegenwart zu kämpfen. Diese Schrift heißt: »Political Biography of Lord George Bentinck. London 1852, deren 24, Kapitel der Sache der Juden und des Judenthums gewidmet ist. Ihr entlehnen wir folgende markante Stellen, denen wir eine einzige dem Romane »Tancred« entnommene vorangehe lassen.

III.

Also spricht Benjamin Disraeli oder, der spätere Lord Beaconsfield:
»1. Das Leben und das Eigenthum Englands wird von den Gesetzen des Sinai beschützt. Dem rastlos arbeitenden Volke Englands wird in je sieben Tagen durch die Gesetze des Sinai ein Ruhetag gesichert. Und doch verfolgt es die Juden und beschimpft das Volk, dem es die erhabene Gesetzgebung verdankt, welche das unvermeidliche Loos der arbeitenden Menge erleichtert.
Und wenn diese arbeitende Menge eine Zeit lang die Arbeit ruhen läßt, welche fast der egyptischen Knechtschaft gleich kommt und seinen Darleger der Geheimnisse des Herzens, seinen Tröster des betrübten Geistes verlangt, den die Poesie allein gewähren kann — zu wessen Harfe flieht das Volk von England, um Mitgefühl und Tröstung zu finden? Wer ist der volksthümlichste Dichter in diesem Lande? Ist er unter den Mr. Wordsworths und den Lord Byrons, unter abschweifenden Träumereien oder Monologen erhabener Uebersättigung zu finden? Sollen wir ihn unter den Witzlingen der Königin Anna suchen? Können wir selbst dem myriadensinnigen Shakespeare die Palme zuerkennen? Nein, der volksthümlichste Dichter in England is der sanfte Sänger Israels. Seit den Tagen des Erbes gab es niemals ein Volk, welches so oft die Oden Davids sang als das Volk von Großbritannien.
So ungeheuer auch die Verbindlichkeiten der ganzen Menschenfamilie gegen das hebräische Geschlecht sind, so verdankt demselben doch kein Theil der modernen Bevölkerung so viel als das britische Volk. Es war das schwert des Herrn und Gideons, welches die gerühmten Freiheiten Englands gewann; dieselben Lieder singend, welche das Herz Judas erfreuten, erkämpften die Schotten an den Abhängen ihrer Hügel ihre Religionsfreiheit.*)
Weshalb verfolgen nun diese sächsischenn und celtischen Gesellschaften ein arabisches Volk, von welchem sie die Gesetze erhabenen Wohlwollens angenommen, und in dessen Literatur sie fortwährend Entzücken, Belehrung und Trost gefunden haben? Das ist eine große Frage, die in einem aufgeklärten Jahrhundert mit Recht gethan werden kann, auf welche aber sogar das selbstgefällige neunzehnte Fahrhundert nur mit Mühe eine Antwort finden würde: Steht es so? Abgesehen von seinen bewundernswürdigen Gesetzen, welche unseren Zustand erheben und der herrlichen Poesie, die unsern Zustand verschönert, abgesehen von seiner heroischen Geschichte, welche uns zum streben nach politischer Freiheit angefeuert hat, verdanken wir dem hebräischen Volke unsere Erkenntniß des wahren Gottes und der Erlösung von unseren Sünden.

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2. Der Germane, der Slave und der Celte haben die meisten Gesetze und Sitten, die ganze Literatur und Religion dieses arabischen Volksstammes angenommen. Europa verdankt demselben also so vieles, was das Leben ordnet, so vieles, was es verschönert, und so vieles, was es tröstet. Die arbeitende Menge ruht jeden siebenten Tag kraft eines jüdischen Gesetzes, sie holt sich ihre Vorbilder aus den Aufzeihnungen jüdischer Ge-
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*) Es wäre eine höchst interessante Aufgabe, historisch zu untersuchen, und ausführlich darzustellen, welchen Einfluß die beiden Testamente, das Alte und das Neue, auf die freie und nationale. Entwicklung der christlichen Völker ausgeübt haben. Thatsache ist es, daß das erstere das nationale Bewußtsein gestärkt und zum Kampfe für politische Freiheit angefeuert hat, während das letztere mehr vom Himmelreiche redet, welches das eigentliche Vaterland des Menschen sei und daher für Nationalität und Patriotismus weder Sinn noch Raum hat. Es dürfte kaum eine christliche Predigt geben, welche einen Text aus dem Neuen Testamente an der Spitze trüge, um den Patriotismus und den nationalen Sinn der Zuhörer zu entflammen. Text und Geist solcher Predigten in Kriegszeiten sind auch in der Kirche alttestamentlich. Dr. Ad. Jellinek.


schichten, und singt die Gesänge und Elegien der jüdischen Dichter; und täglich anerkennt sie auf den Knien mit andächtiger Dankbarkeit, daß die jüdische Ueberlieferung Mittler zwischen ihr und dem Schöpfer ist. Und dennoch behandeln wir das Volk der Hebräer als Parias, und anstatt sie logisch richtig als den Theil der Völkerfamilie zu betrachten, welnher am meisten zur allgemeinen menschlichen Entwicklung beigetragen hat, überhäufen wir es mit jedem Ausdruck der Schmach und jeder Form der Verfolgung.

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3. Die Juden waren nie so verderbt, als es die Griechen im ganzen Orient vor ihrer Befreiung waren, und doch wurde ihre Verderbtheit durch eine Verfolgungsperiode hervorgerufen, welche sich in der Intensivität ihrer Leiden nicht mit denen der Kinder Israels vergleichen läßt. Doch begleitet eine Eigenthümlichkeit die Juden unter den ungünstigen Umständen; andere erniedrigte Racen nützen sich ab, und verschwinden, der Jude bleibt, so geschickt, so thatkräftig, so ausdauernd, so voller Hilfsmittel und Entschlossenheit als je. In diesem Lichte betrachtet, erscheint die Erniedrigung des jüdischen Volkes als ein schlagender Beweis seiner Vortrefflichkeit, denn nur eine bevorzugte Race kann die erduldeten Prüfungen überdauern.
Aber obgleich eine überlegene physische Organisation eine so außerordentliche Thatsache erklären kann, so wird doch der verfolgte Stamm der Hebräer auch noch durch audere Mittel erhalten. Es unterstützt ihn eine erhabene Religion. Verstockt, boshaft, widrig und empörend, wie uns der gemeine Jude erscheint, ist er doch selten demoralisirt. Unter seinem eigenen Dache öffnet sich sein Herz dem Einflusse seiner schönen arabischen Traditionen. Alle seine Feierlichkeiten, seine Gebräuche, seine Feste verherrlichen noch immer die Gaben der Natur und die Gnade Gotte's. Ein patriarchalisches Gefühl schwebt noch immer um seinen Herd. Der Mensch, der seine Häuslichkeit liebt, wie tief er auch gefallen sein mag, ist nicht verloren
Die Posaune Sinai's tönt noch immer in den Ohren des Hebräers, und nie sieht man einen Juden auf dem Schaffot, es sei denn zu einem Auto-da-Fé.
Aber nachdem wir diese theilweise Erniederung des jüdischen Namens vollkommen zugegeben haben, können wir nicht damit übereinstimmen, daß diese theilweise Entartung die Vorurtheile und Verfolgungen rechtfertige, welche in barbarischem und mittelalterlichem Aberglauben würzeln. Im Gegentheil, wenn wir den Einfluß der jüdischen Race auf die jezige Gesellschaft betrachten, ohne Bezug auf die vergangene Geschichte oder künftige Verheißungen Israels, wenn wir aus unserem Geist und Gedächtniß, wenn dies überhaupt möglich ist, Alles verbannen, was die Hebräer für die Menschheit in alter Zeit gethan haben, und was noch in ihrer Bestimmung liegen mag: so behaupten wir, daß sie, statt ein Gegenstand der Abneigung zu sein, alle Ehre und Begünstigung von den nördlichen und westlichen Völkern empfangen sollten, welche civilisirte und verfeinerte Nationen denjenigen zollen, die ihnen ästhetische Genüsse verschaffen und den Geschmack verfeinern. Wir stehen nicht an, zu sagen, daß die Gegenwart, und zwar seit einem langen Zeitraum, keine Race aufzuweisen hat, welche so viel für die Veredlung, Verfeinerung und Ausbildung Europa's gethan hat, als die jüdische.

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4. Vor vierzig Jahren (keine längere Periode, als die Kinder Jsraels durch die Wüste zogen) waren die zwei erniedrigtesten Racen, die Attische und die Hebräische, gerade die zwei Stämme, die am meisten für die Menschheit gewirkt haben. Ihre Schicksale haben viel Aehnliches: ihre Länder waren die zwei kleinsten der Welt, gleich unfruchtbar, gleich berühmt; beide Völker theilten sich in Stämme; beide bauten einen der berühmtesten Tempel auf einer Akropolis, und beide haben eine Literatur hervorgebracht, von allen europäischen Nationen mit Ehrfurcht und Bewunderung aufgenommen. Athen ist öfter geplündert worden als Jerusalem, und öfter der Erde gleich gemacht, aber die Athener sind der Vertreibung entgangen, welche bloß ein orientalischer Gebrauch ist. Die Leiden der Juden aber sind ungemein viel dauernder und verschiedenartiger als die der Athener gewesen. Doch scheint der Grieche schon ershöpft. JIm Gegentheil, nie schien die schöpferische Kraft Israels so glänzend wie jetzt, und schwer ist es zu begreifen, wie der Russe, der Franzose, der Angelsachse mitten unter dem Beifalle, welchen er im Theater jüdischen Künstlern spendet, trotz der stummen Bewunderung, welche er im Tempel den Stimmen jüdischer Sänger zollt, dennoch so viel Groll in seinem Herzen finden kann, einen Juden zu verfolgen.

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5. Es bleibt uns nur noch übrig, die schädlichen Folgen zu beleuchten, welche das Benehmen der Gesellschaft diesem Volke gegenüber, der europäischen Gesellschaft zufügt, und diese Ansicht der Sache führt uns zu Erwägungen, welche heutige Staatsmänner wohl thäten zu beherzigen.
Die Welt hat jetzt entdeckt, daß es unmöglich ist, die Juden zu zerstören. Der Versuch, sie auszurotten, ist unter den günstigsten Auspizien und im größten Maßstabe gemacht worden; die beträchtlichsten Mittel, die dem Menschen zu Gebote stehen, sind seit den ältesten Zeiten der Weltgeschichte diesem Gegenstand hartnäckig zugewendet worden; egyptishe Pharaonen, assyrische Könige, römische Kaiser, skandinavische Kreuzritter, gothische Fürsten und heilige Inquisitoren haben alle ihre Kräfte diesem gemeinschastlichen Zwecke gewidmet. Vertreibung, Verbannung, Gefangenschaft, Einziehung der Güter, die Folter auf die sinnreichste und Metzeleien auf die großartigste Weise, ein sonderbares System von erniedrigenden Gebräuchen und entwürdigenden Gesetzen, welches den Muth und das Herz jeden anderen Volkes gebrochen hätte — Alles ist versucht worden und Alles umsonst. Trotz dieser Verfolgung sind die Juden heutigen Tages zahlreicher, als unter der Regierung Salomo’s des Weisen, sie sind in jedem Lande zu findeyn, und, unglücklicher Weise gedeihen sie in den meisten. Alles dies beweist, daß es umsonst ist, wenn der Mensch das unerbittliche Gesetz der Natur zu vereiteln sucht, kraft dessen eine höhere Race nie von einer niedrigeren zerstört oder absorbirt werden kann.
Aber der Einfluß einer vornehmen Race macht sich geltend, ihre Größe besteht nicht in der Zahl, sonst hätten die Engländer nicht die Chinesen besiegt, noch wären die Azteks von Cortez und einer Handvoll Gothen überwunden worden. Jene Größe geht aus ihrer Organisation hervor, deren Wirkungen sich in ihrer Energie und in ihren Unternehmungen, in der Kraft ihres Willens und der Fruchtbarkeit ihres Geistes zeigen. Betrachten wir, welcher der Einfluß der Juden sein sollte, und wie er in der Wirklichkeit sich äußert. Das jüdische Volk vermittelt die neueren Völker mit den früheren Zeitaltern der Welt, wo die Verbindung des Schöpfers mit dem Geschöpfe unmittelbarer war als jetzt — als Engel die Erde besuchten und sogar Gott selbst mit dem Menschen sprach. Die Juden repräsentiren das semitische Princip. Alles, was geistig in unserer Natur ist, sie sind der Pfleger der Tradition und Bewahrer des religiösen Elementes. Sie sind der lebende und schlagendste Beweis der Falschheit der heutigen verderblichen Lehre von der natürlichen Gleichheit der Menschen. Die politische Gleichheit einer einzelnen Nation ist eine innere Angelegenheit derselben und hängt gänzlich von politischen Rücksichten und Verhältnissen ab, aber die natürliche Gleichheit der Menschen unter einander, welche zu lehren jetzt Mode ist und welche eine allgemeine weltbürgerliche Bruderschaft voraussetzt, ist ein Prinzip, welches alle großen Racen verschlimmern und den Geist aus der Welt verbannen würde, wenn es möglich wäre, es zu realisiren. Was z. B. würden die Folgen für die große angelsächsische Republik sein, wenn die Weißen ihren richtigen Grundsatz der Isolirung verlassen und sich mit der schwarzen und färbigen Bevölkerung mischen würden? Im Laufe der Zeit würden sie so herabgekommen sein, daß die von ihnen verjagten und ihnen dann überlegen gewordenen Urbewohner ihre Länder wieder zurückgewinnen würden. Aber obgleich die Natur nie erlauben wird, daß diese Theorie der natürlichen Gleichheit endlich angeführt werde, so hat doch schon das Predigen dieser Lehre Unfug angestiftet und kann nonh mehr verursachen. Die natürliche Richtung der jüdischen Race, die mit Recht stolz auf ihr Blut ist, ist gegen die Lehre der Gleichheit der Menschen. Sie hat aber noch eine andere charakteristische Eigenheit — die Gabe des Erwerbes, Obgleich alle europäischen Regierungen sich bestrebt haben, sie an der Erlangung von Grundbesitz zu verhindern, so sind sie doch durch Anhäufung vou Reichthümern ansehnlich geworden; hieraus sieht man, daß alle Neigungen der jüdischen Nation conservativer Natur sind. Ihr natürlicher Hang ist für die Religion und das Eigenthum, für eine natürliche Aristokratie und es sollte im Interesse der Staatsmänner liegen, diese Richtung einer großen Race zu ermuthigen und ihre Energie und schöpferische Kraft für die Sache der bestehenden Gesellschaft anzuwerben.

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6. Wenn die Zeit kommen wird, wo die gewaltigen Völkerfamilien und zahllosen Millionen von Amerika und Australien auf Europa blicken werden, wie Europa jetzt auf Griechenland, und verwundert fragen werden, wie so große Thaten in so kleinem Raume geschehen konnten, werden sie noch Harmonie in den Gesängen Zions finden, und Trost in den Parabeln von Galiläa.«


IV.

Nähern wir uns jezt dem Vater Benjamin's und machen wir uns mit jenen Aeußerungen und Ansichten Isaak Disraeli's vertraut, welche die Keime enthalten, aus denen Lord Beaconsfield beide Thesen nebst deren Vertiefung und Erweiterung entwickte.
Isaak Disraeli war ein spanischer Jude, ein Nachkomme jenes Theiles des jüdischen Stammes, der mehr denn ein Jahrtausend unter Christen und Mauren anf der spanischen Halbinsel lebte und Männer von glänzenden Namen auf dem Gebiete der Poesie, Philosophie, Naturwissenschaften, Politik und des großen Handelsverkehrs hervorbrachte; auch in seiner äußeren Erscheinung einen schönen und vornehmen jüd. Typus repräsentirte und 1492 von christlichem Fanatismus und einer beschränkten Staatskunst auszuwandern genöthigt wurde. Eine große Zahl der Auswanderer ließ sich in dem benachbarten Portugal nieder, deren Abkömmlinge man portugiesische Juden nennt, daher spanische und portugiesische Gemeinden sich bildeten, die aber im Grunde identisch sind.
Der spanische Jude hat nicht bloß die wohlklingende, castilianische Sprache aus seiner früheren Heimat mit sich genommen und sie bis auf den heutigen Tag in seiner Liturgie und in seiner Familie beibehalten *), sondern auch eine gewisse spanishe Gran-
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*) Als Emilio Castelar in Florenz eine jüdisch-spanishe Dame traf, welche, in Livorno geboren und in Damascus wohnhaft, mit ihrem Gatten spanisch sprach und von ihr erfuhr, daß sie eine Jüdin spanischer Herkunft sei, ward er davon so ergriffen, - daß er ausrief: »Meine Liebe zum Vaterlande erscheint mir lau im Vergleiche zu der des jüdischen sStammes für Spanien, dessen Söhne und Töchter noch nach einem Exil von 400 Jahren die Sprache ihrer Verfolger reden.«


dezza. Er is stolz auf seine Vergangenheit, auf die großen Namen, welche seine Geschichte aufzählt und auf seine Abstammung, die er auf die edelsten Geschlechter des alten Judäa zurückführt. Abravanel z. B. rechnete sich zum alten königlichen Hause David's und es gibt heute noch unter den spanischen Juden Familiennamen, deren Glanz man Jahrhunderte lang zurückverfolgen kann. Erst in unserer Zeit beginnt diese jüdisch-spanische Grandezza, die auch in der äußeren Haltung sich reflectirt, den nichtspanischen Juden gegenüber zu weichen. Crémieux, gleichfalls spanischer Herkunft, erzählte einst zum Ergötzen seiner Zuhörer, welches Aufsehen es im Kreise seiner spanischen Glaubensgenossen machte, als er um die Hand einer nichtspanischen Jüdin warb.
Isaak Disraeli erzählte seinem Sohne über die spanischen und portugiesischen Juden in England Folgendes: »spanische und portugiesische Flüchtlinge aus dem Höllenfeuer der Auto da Fé's und den lebendigen Gräbern der Inquisition gründeten die ersten allgemeinen jüdischen Niederlassungen in England. Es waren Leute aus allen Ständen, Edelleute, Offiziere, Gelehrte, Aerzte und wohlhabende Kaufleute; manche brachten große Reichthümer mit sich und führten in England einen herzoglichen Haushalt. Noch jetzt findet man die ersten Namen der portugiesischen Nation in ihren gegenwärtigen Abkömmlingen, welche freilich sehr verschiedene Stellungen behaupten. Die Namen Villa Real, Alvarez, Mendez, Franco, Rebella, De Silva, Garcia D’'Aquilar, Sonza, De Castro, Salvador und viele andere zeugen von ihrem lusitanischen Ursprung.
Diese portugiesischen Juden in London konnten ihren National-Charakter nicht ableugnen; immer zeichneten sie sich durch ihren Stolz, ihr hohes Ehrgefühl und ihre stattlichen Manieren aus. Später drängten sich jüdische Emigranten aus Deutschland, Polen und der Berberei herzu, eine in jeder Hinsicht tiefer stehende Volksklasse. Ihr Einzug in diese Reiche ging still vor sich und neue Untersuchungen sind auf nichts gestoßen, was die Würde der Geschichte in Anspruch nehmen könnte. Die portugiesischen Großen flohen vor ihrer Berührung zurück, sie sahen mit bitterer Verachtung auf diese Hefe des Volks, und die unversöhnlichen Folgen der Beleidigung dauerten ein ganzes Jahrhundert lang fort. In jeder Hinsicht waren sich diese verschiedenen Klassen entgegengesetzt. Die eine war wohlhabend und stolz, die andere durch Dürftigkeit herabgedrückt und auf die niedrigsten, nicht selten auf die verrufensten Erwerbzweige angewiesen. Die eine Klasse war indolent, gebildet, üppig, die andere abstoßend in ihrer Lebensweise, thätig, habsüchtig, von herber Art, von tückischem Verstand. Die eine Klasse war glänzend in Kleidung und Equipage ausgestaltet, während der verachtete Pole stets nach dem mosaischen Gebot seinen Bart und Kittel beibehielt. Jene Klasse, zu stolz, um die Sprache ihres neuen Vaterlandes anzunehmen, hielt doch streng auf ihre bisherige, sie war wissenschaftlich und literarisch gebildet, während die andere, völlig unwissend, an einen barbarischen hebräischen Dialect gewöhnt war. Von Anfang an waren sie in verschiedene Synagogen zerfallen, jede Gemeinschaft war aufgehoben und der stolze Lusiraner wäre lieber zu den Scheiterhaufen Lissabons zurügekehrt, ehe er sich zu einer Verschwägerung mit dem elsässischen oder polnischen Juden verstanden hätte. Der gegenseitige Haß dieser Juden erinnert an die Türken und Perser; wenn die einen bei den andern Hund hießen, so wurden diese zur Vergeltung Esel genannt. Noch jetzt sind diese beiden Klassen unter dem Namen der portugiesischen und deutschen Juden bekannt, und wir müssen uns oft wundern, wie sehr und warum sie so zerfallen sind.«
Dies allein genügt aber dem Vater nicht. Die spanischen und portugiesischen Juden sind nicht bloß ein edleres Reis des jüdischen Stammes, sondern deren Blut vermischte sich mit dem der Spanier und Portugiesen, so daß man die Letzteren als fast ganz jüdischer Abkunft betrachtete. Zur Bestätigung dieser verbreiteten Meinung theilte er seinem Sohne folgende Anekdote mit, die er von dem Arzte der portugiesischen Gesandtschaft gehört hatte.
Unter der Verwaltung des großen Pombal nämlich hatte die Priesterpartei den König Joseph überredet, jenes Abzeichen des Judenihums, den gelben Hut, zu erneuern, um die vielen Christianos novos unter seinen Unterthanen zu bezeichnen. Das Edict war vorbereitet. Den andern Morgen erschien der Minister vor Sr. Majestät mit drei gelben Hüten; einen bot er dem König an, den andern brachte er dem Großinquisitor, und den dritten hatte er für sein eigenes Haupt bestimmt. »Ich gehorche den Befehlen Euerer Majestät«, sagte er, »und versehe mit diesen Abzeichen diejenigen, deren Blut durch jüdisches befleckt ist.« Dieser jüdisch-spanische Stolz, der wahrscheinlich durch die alte Heimat im Reiche der Hidalgos, der langen Titel und der noch längeren Stammtafeln genährt wurde, wirkte auch auf die Behandlung des jüdischen Alterthums zurück. In den spanisch geschriebenen Werken jüdisch-spanischer Autoren wie z. B. in Aboab's : »Nomologia« und in Cardoso’s: »Excellencias de los Hebreos« wird dasselbe nicht bloß mit religiös-jüdischer Begeisterung, sondern auch mit der vornehmen Miene eines spanischen Granden und in den überschwänglichsten Bildern der spanischen Rhetorik dargestellt.


V.

Auch unser Isaak unterließ es nicht, seinem Sohne Benjamin »las Excellencias de los Hebreos« oder die Vorzüge des jüdischen Volkes und des biblischen Judenthums zu schildern, während er den Talmud, dessen Traditions-Hypothese und kleinliche Ausdeutungen und Ausweitungen des biblischen Wortes als ein Jünger Voltaires und der Encyklopädisten heftig angriff und mit Spott überhäufte.
Einst sprach er zu seinem Sohne in folgender Weise: »Die großen Feste der Hebräer hiengen mit den Erzeugnissen der verschiedenen Jahreszeiten zusammen. Das Passah konnte erst gehalten werden, wenn die Heerden das Osterlamm lieferten; das Pfingstfest wenn der Weizen für die frischen Versöhnungsbrode gereift war, und in den Weingärten und Olivenhainen mußte das dichte Laubwerk zuerst gewachsen sein, das beim Fest ihre Hütten decken sollte. Die Israeliten wurden an ihre Feste durch die lebendigen Mahnungen der Natur erinnert. Die ganze Erde war eine große Synagoge.« — — — —.
»Die Gesetze der Natur und die Gesetze Gottes, die Erde und der Schöpfer waren die Gegenstände, welche die Gedanken des hebräischen Bürgers unablässig beschäftigten; das Feld, der Weingarten und der Altar. Wenn der Arbeiter Abends heimkehrte, sah er die Aeltesten unter den Thoren der Stadt zu Gericht sitzen.«
»Unter den Hebräern gab es keine privilegirten Stände, den einzigen Rang in der Gesellschaft verlieh das Alter, der einzige Titel war die Vaterschaft und alle Stämme waren in den zärtlichen Namen »Kinder Israels« eingeschlossen. Der hohe Gesetzgeber vergaß auch nicht das geringste Glied des Staates , die Knechtschaft hatte ihre feste Grenze und für den Armen gab es ein »Erlaßjahr«. Der ungleichen Austheilung des Eigenthums, diesem bei anderen Völkern unabwendbaren Uebel, stand bei Moses ein agrarisches Gesetz entgegen, aber kein ungerechtes, noch durch plötzliche gewaltsame Einführung gefährliches, »das Land war des Herrn« und in Israel konnte der Verschwender das Vermögen seiner Nachkommen nicht für immer veräußern, weil, wenn auch er sich seines Eigenthums beraubt hatte, die Güter immer wieder in den großen Jubeljahren an sein verarmtes Geschlecht zurückfielen.« »Moses ahnte , daß selbst seine vollkommene Verfassung die Unbeständigkeit der Menschen ermüden, und daß irdische Leidenschaften selbst eine göttliche Institution trüben würden. Er beschränkte im Voraus mit profetischer Weisheit die in die Hände des Königthums gelegte Macht und schrieb dem künftigen Fürsten sogar eine tägliche Verrichtung vor. Der Gesetzgeber machte den König von Israel zum unschädlichsten Manne in seinem ganzen Reiche.« — — — Das jüdische Volk betreffend, machte er seinem Sohne folgende Bemerkungen: »Sekten, ja Nationen, hatten ihre vorgeschriebene Lebensfrist , sie erschlafften, gingen zuletzt in andere über und verloren sogar ihren Namen. Aber dieses zähe, außerordentliche jüdische Volk besteht, durchaus vernichtet als politisches Ganzes, unverändert, vielleicht unveränderlichh als Gemeinwesen fort. Heimatlos selbst in seinem Geburtslande, ausgestoßen aus der Reihe der Völker und doch stets ein Volk, Kinder Gottes, vogelfrei vor den Menschen, als Heilige angesehen und als Verworfene behandelt! Denn diese zersplitterten Horden haben das Elend der Duldung wie der Verfolgung erfahren: Duldung trägt die Waffen des Hohnes unnd gewährt nichts als ein schmachvolles Dasein, Verfolgung führt einen Vertilgungskrieg und schlachtet ihre Opfer. Gebrandmarkt oder proscribirt, ihr bloßer Name hat einen sprichwörtlichen Haß auf sie vererbt und noch immer schmachten sie unter dem Fluche, den der unsterbliche Gesezgeber über sie aussprach, sie sollen »ein Scheusal und ein Sprichwort und Spott sein unter allen Völkern, da sie der Herr hintreiben würde«. »Die Hebräer sind das einzige Volk in Europa, dessen Geschichte, dessen Charakter den Einfluß eines Ursprungs trägt, der nichts mit deu Annalen der Menschheit gemein hat, und einer Bestimmung, die in der frühesten Epoche der Gesellschaft wurzelt. Um ihre Zustände, selbst aus dem Gesichtskreis unserer Erfahrung, zu begreifen , müssen wir ein Gesetzbuch, ein Ritual zu Rathe ziehen, dem sie in ganz anderen sozialen Verhältnissen und unter einem östlichen Himmel unterworfen waren.Ihr Gesetz, ihr Glaube, ihre Volksthümlichkeit bestehen jezt noch gerade wie vor Jahrtausenden. An dem Israeliten is alles alt und nichts veraltet.«
»Der Hebräer, flüchtig oder gefangen in den glänzenden Städten Griechenlands und Roms, konnte selbst mit der ausschweifenden Hoffnung seines Glaubens, kaum sich träumen lassen, das mosaische Gesetz würde, wenn Gras und Trümmer jene alte Pracht und Herrlichkeit deckten, noch ungeborene Geschlechter in unbekannten Ländern beherrschen. In dem Gesichte ihres Profeten hatten die Israeliten — oder meinten es wenigstens so — den Umsturz von Reichen gesehen, die Erscheinung der geflügelten Diener vier großer Reiche »in einer Wolke voll Feuers« neben dem schrecklichen Rade — die »sich nicht herumlenken durften, wenn sie giengen, sondern wo sie hingiengen, giengen sie straks vor sich«, aber »es war ein lebendiger Wind in den Rädern«, und »die Räder waren anzusehen, als wäre ein Rad in dem andern«. Ein Weltreich erdrückte das andere. Die Babylonier waren von den Persern zersplittert, die Perser waren durch die Griechen gefallen, die Griechen hatten sich den Römern gebeugt. Zweitausend Jahre sind nun dahin, und »Räder«, nicht verzeichnet in Ezechiel’s mystischem Gesichte, sind auch »aufgehoben worden von der Erde«; nur das Haus Jakobs blieb unversehrt, gleich dem feurigen Busch, der »mit Feuer brannte und ward doch nicht verzehret« — — —
Dann handelte er von den Beschuldigungen, welche gegen das jüdische Volk vorgebracht wurden und bemerkte in dieser Beziehung: »Die schauderhaften Verbrechen, deren man die Hebräer angeklagt hat, konnten vor keiner historischen Untersuchung Stich halten. Aber so haben Secten und Parteien einander verleumdet. Die Christen wurden unter den Römern durch ähnliche Fiktionen dem Hasse preisgegeben, so wurden die ersten Protestanten von den Papisten angeschwärzt, die Katholiken erfuhren in England dieselben Mißhandlungen. Dieses historische Problem ist nicht schwer zu lösen. Wenn ein hoher Preis ausgesetzt wird, um Schuldige zu entdecken, so werden sich Schuldige finden, und für die Käger kann es keinen höheren Preis geben, als einen Antheil an der Confiscation«. — — —
»Dieses »unvergängliche, jüdische Volk«, schloß er seine Bemerkungen, »ist in unserer Zeit keine Nation mehr; es besteht aus vielen Nationen, aus Spaniern, Portugiesen, Deutschen, Polen, Italienern, Engländern und Franzosen, und spiegelt wie das Chamäleon immer die Farbe des Bodens ab, der ihm zur Heimat geworden is. Das Volk Israel gleicht einem Wasser, das durch weite Lande fließt und in seinem Laufe alle die Mischungen, welche die verschiedenen Ufer absetzen, an sich nimmt. Nach wenigen Generationen assimiliren sich die Hebräer mit dem Charakter, und verwandeln sich nach dem Gefühl der Nation, bei der sie sich eingebürgert haben. Welch' verschiedene Menschen sind die Juden von London, Paris und Amsterdam, und die Juden von Marocco, Damaskus und von der Wolga!« — — —
Wer kann in Abrede stellen, fragen wir nun, daß der Ursprung der beiden Haupt-Thesen Lord Beaconsield'’s in dessen Vaterhause, in den Gesprächen und Mittheilungen des Vaters zu suchen, daß z. B. die Unterscheidung zwischeu spanischen und sarmatischen Juden am Schlusse des beredten Plaidoyer's in der »Political Biography of Lord George Bentinck« blos ein Echo der väterlichen Ttimme ist? Erwägt man, daß der Sohn mit einer dichterischen Phantasie ausgestattet war, daß die Vorurtheile der englischen Aristokratie einerseits und sein politisches Ringen und Kämpfen anderseits ihn zu der Beweisführung nöthigten, daß er würdig sei, in den Reihen der stolzen englischen Tories einen Platz einzunehmen, so wird man begreifen, daß die Saatkörner, welche die Hand des Vaters in das Herz und den Geist des Sohnes gelegt hatte, sich zu einer farbenreichen und kräftigen Frucht entwickeln mußten. Was in dem kühlen Verstande des Vaters geschichtsphilosophische Reflexion war, wurde in der Phantasie des Sohnes zu einem historischen Epos, dessen Held Juda hieß und dessen Schauplatz die alte und die neue Welt ist!


VI.

Einmal lenkte der Vater das Gespräch auf das Geschick der Juden und des Judenthums, so oft in der Geschichte verkannt worden zu sein und immer noch verkannt zu werden, und hob besonders den Sabbath hervor. Die heidnischen Schriftsteller, sprach er, wie Plutarch, Tacitus, Juvenal und Martial verstanden diese Institution nicht, hielten den Sabbat für einen Fasttag, die Beobachtung desselben für die Folge von Trägheit und Müßiggang und fuhr dann fort die heilige Weihe, die der Sabbat über die jüdische Familienwohnung ausgießt, mit folgenden Worten zu schildern:
»Die inneren Genüsse eines jüdischen Hauses waren für die Heiden unsichtbar wie für die christlichen Väter. Sie hörten nicht den Hausgruß, der liebreich einen »guten Sabbat« wünschte, nicht den Segen des Vaters über die Söhne oder des Lehrers über seine Zöglinge. Sie sahen nicht die Hausfrau auf den Sonnenuntergang harren und dann die sieben Döchte der Sabbatlampen anzuzünden: — der Bettler heischte ein Almosen, um die Sabbatlampe mit Oel füllen zu können. Aber die geheimere Erleuchtung des Gesetzes am Sabbat, wie die Rabbinen es ausdrückten, gab jedem Israeliten eine Seele mehr. Die Heiligkeit, die an diesem Tage fühlbar auf einer jüdischen Wohnung ruhte, war eine unausgesetzte Erneuerung der religiösen Triebe dieses frommen Volkes. So blieb im geschäftigen Kreise des Lebens immer ein Punkt, wo der Arme rastete und der Reiche einer himmlischen Ruhe genoß. Nicht ohne Bedeutung nannte Leo von Modena, ein philosophischer Jude, diesen Tag »das Fest des Sabbats.« — — — — ——
Dieser väterliche Geist, wie er in dieser Schilderung der Sabbatweihe sich manifestirt, hatte sicherlich den Sohn umschwebt, als er in seinem Romane »Tancred« die Feier des Hüttenfestes in nördlichen Gegenden außerhalb Palästina’s zartsinnig und mit dichterischem Verständnisse geschrieben und dann, die oft sonderbaren Vorstellungen vieler Nichtjuden über jüdisches Wesen und jüdische Sitten mit feinem Sarkasmus verspottend, das Gemälde des Naturfestes mit folgenden Worten schloß:
»Vielleicht, während er den Kidusch, den hebräischen Segen über das hebräische Mahl spricht und das Brot bricht und austheilt und mit einem Gebete den Becher Wein heiligt, den er in der Hand emporhebt, oder vielleicht, wenn er das besondere Dankgebet des Lauberhüttenfestes spricht und Gott für die Weinernte preist, welche seine Kinder nicht mehr einsammeln, aber auch für sein Versprechen, daß sie sich eines Tages derselben wieder erfreuen werden, und sein Weib und seine Kinder in ein frommes Hosiannah ! — das heißt: Hilf uns! — einstimmen, vielleicht gehen in diesem Augenblicke einige Angelsachsen, sehr solide Leute, Zehnpfünder, vielleicht ein wenig aufgeregt, obschon nicht zu Ehren der Weinlese, an dem Hause vorüber und man hört von ihnen etwa folgende Worte:
»Hört, Buggins, was ist denn das für ein Krawall?«
»Ach, das sind die verfluchten Juden; wir haben eine ganze Menge davon hier. Es is heute eins ihrer entsetzlichen Feste. Der Lord Mayor sollte es nicht dulden. Jedoch, jezt treiben sie es doch nicht mehr so toll wie sonst — in frühern Zeiten pflegten sie bei diesen Gelegenheiten allemal kleine Christenknaben zu kreuzigen, aber jezt essen sie blos Bratwürste von stinkigtem Schweinefleisch.«
»Ja, ja«, entgegnete der Andere, »der Fortschritt macht sich überall bemerklich.« — — — —
In diesem feinen Spotte einerseits und in dem innigen Verständnisse jüdischer Ceremonien andererseits erkennt man den Einfluß des väterlichen Hauses und der in frühester Jugend aufgenommenen Eindrücke.


VII.

In einem Momeute heftiger Erregtheit über einen Streit mit der portugiesischen Gemeinde am 31. Juli 1817, ließ der Vater Isaak seinen Sohn Benjamin durch die Vermittlung seines Freundes Samuel Roger in dem St. Andrews Kirchspiel zu London taufen, und es dürfte unsere Leser frappiren, die Ansichten Isaak Disraeli’s über Judentaufen und Judenbekehrungen zu vernehmen.
Einst äußerte er sich seinem Sohne gegenüber über dieses Thema in folgender Weise: »Die Londoner Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter den Juden, lange von den ehrenwerthesten Namen unterstützt, hat dem Proselytismus einen Tempel errichtet, aber keine Menge hat sich an die Schwelle des eleganten Gebäudes gedrängt. Dieser Versuch hat fehlgeschlagen, wie viele vor ihm, und sollten sich unter den Proselyten welche vom Tempel Aquila's finden, welche als bekehrte Juden wieder in ihr altes Judenthum zurüfielen, so wäre die Gesellschaft in Gefahr, Viele von der jährlichen Gesammtliste der Proselyten streichen zu müssen!«
»Versuche dieser Art sind seit den Zeiten der Kirchenväter gemacht worden, welche, so siegreich sie auch die im Verfall begriffenen heidnischen Zustände, von denen sie umgeben waren und die sie zuvor ganz wohl verstehen gelernt hatten, demolirten, keineswegs glückliche Angriffe auf den jüdischen Glauben richteten, dem sie leidenschaftlich oder leichtsinnig, jedenfalls mit mangelhafter Geschicklichkeit und Kenntniß begegneten. Die Kirchenväter bringen gegen die Juden keine Gründe vor, deren sich jetzt jeder vernünftige Christ bedienen würde, und es ist klar, daß sie die Juden, ihr Unglück und ihre isolirenden Gebräuche so wenig kannten, als ihre Herren, die Römer, Einige von den Vätern, deren Schilderungen an die aberwitzigen Rabbinen erinnern, müssen mehr mit Teufeln als mit ihren älteren Brüdern, den Hebräern, den verkehren geglaubt haben!« — — — —
»Die Väter kannten wenig von den Juden und noch weniger von der menschlichen Natur; Unglückliche zu demüthigen und dann über ihre bürgerliche Schmach zu triumphiren, ist kein Mittel zur Bekehrung, wohl aber zur Aufregung der schlimmsten Leidenschaften, des unversöhnlichen Hasses, der unterdrückten Rachsucht.« — — — — —-
»Harte Maßregeln zur Bekehrung der Israeliten haben nur zu einer gezwungenen Abshwörung ihres Glaubens geführt und es bedurfte der strengsten Vorsicht, um sie von der Rückkehr zur Synagoge abzuhalten. Das Concilium von Agde verlangte, kein Jude solle die Taufe empfangen, ohne zuvor eine Probezeit von sechs Monaten als Katechumen bestanden zu haben, und das zweite Concilium von Nizza verurtheilte einige Neubekehrte, welche die neuangenommenen christlichen Ceremonien offen verspottet hatten, ein öffentliches Bekenntniß ihrer alten Religion abzulegen. Selbst im Falle freundlicher Ueberredung, z. B. eines Beschützers, dem ein Hebräer verpflichtet war, ist es merkwürdig, wie die Bitte um Annahme der Taufe durch schüchterne Abwehr oder entfernte Versprechungen erwiedert warde.« — — — —
»Die Sache des Christenthums wird nie durch indirekte oder hinterlistige Maßregeln gefördert werden, wie sie oft bei dem Bekehrungshandel von niedrigen Agenten gebraucht worden sind, welche in den finstern Winkeln schmugziger Straßen nach erbärmlichen Proselyten, elternlosen oder ihren trostlosen Eltern geraubten Kindern jagten, das Gewissen gedankenloser Menschen peinigten, oder junge Polen an sich zogen, die, indem sie sich an der Tafel ihrer edlen Freunde mästeten, ihre jüdische Complexion verloren, und gelegentlich sogar einen stupiden, unwissenden Rabbiner aufrafften, was uns an die Beschreibung des Florentiners Poggio in einer Erzählung von seinen hebräischen Studien erinnert:
»Ich habe manchen Spaß mit meinem Hofmeister, einem dummen, ungründlichen und unwissenden Menschen — in der That der allgemeine Charakter aller bekehrten Juden.« — — Im Laufe dieses Gespräches wurde auch der Streit Lavaters mit Moses Mendessohn berührt und von dem letzteren bemerkt, daß er diese Streitsache mit seiner gewohnten Zartheit und seinem tiefen Gefühle führte, bis er zuletzt feierlich und gleichsam zornig dem bekehrungssüchtigen Lavater zurief: »Ich bin von dem Wesentlichen in meiner Religion so fest überzeugt, als Sie und Herr Bonnet von der Ihrigen sein können!«


VIII.

Das sind die Gespräche über das jüdische Volk und das Judenthum, deren Geschichte und Geschicke, deren Bedeutung und Mißdeutung, deren Vergangenheit und Gegenwart, welche Benjamin Disraeli aus dem Munde seines Vaters von Zeit zu Zeit hörte, und dieser letztere dann niederschrieb, schriftstellerisch ordnete, weiter ausführte, mit vielen einschlagenden Materien vermehrte und unter dem Titel: »The Genius of Judaism« im Jahre 1833 veröffentlichte.*) Sie schließen mit dem Satzte: »Der gleichmäßige Genuß der bürgerlichen Rechte wird weder den Geist des Judenthums noch den Geist des Christenthums gefährden« und enthalten die Grundlinien des Gemäldes, welches der Sohn ausführte und dessen Grundfarben die beiden Thesen: »All is the race« und »Christianity is Judaism for the multitude« bilden. Denn unberechenbar sind die Eindrücke der ersten Jugend auf die geistige Entwickelung und die allgemeinen Anschauungen eines Mannes und besonders, wenn sie von einer Person ausgehen, welche kindliche Liebe mit dem Strahlenkranz der Autorität schmückt und deren Bild nie in der Phantasie erblaßt. Rechnen wir hinzu, daß die Erhebung dieser beiden Thesen zu festen Wahrheiten für den Sieg Lord Beaconsfield's im Kampfe gegen Racen- und Religionsvorurtheile von entscheidender Wichtigkeit war, so wird es uns nicht mehr überraschen, sie als den rothen Faden zu finden, der fast durch alle seine Schriften sich zieht. Die semitische Race oder beziehungsweise der hebräische Stamm überragt durch Geistesanlagen und geschichtliche Bedeutung
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*) In deutscher Uebersehung: Stuttgart 1836. Auch das 24. Capitel von der oben angeführten Biographie Lord Bentinck's ist in deutscher Sprache, Leipzig 1853, erschienen.


die Angelsachsen, die Skandinavier und die Normannen; die Kirchen sind nichts anderes als Töchter Jerusalems, wo die Lehren Moses und der Propheten durch volksthümliche Gewandung der Menge zugänglich und verständlich gemacht werden; ein Sohn Juda's »hat die Geschichte seines Volkes zur berühmtesten der Welt gemacht, hat den Sieg des Titus gerächt und die Cäsaren bezwungen.« Warum sollte Benjamin Disraeli, ein Sohn dieses welthistorischen Volkes, auf dessen nationalem Boden Jesus das Licht der Welt erblickt hatte, das allen Culturvölkern Gesetze gab und das Gebot der Nächstenliebe einschärfte, nicht der höchsten englischen Aristokratie ebenbürtig sein? Und Benjamin Disraeli ward der Führer und das Haupt der Tories, in deren Mitte die ersten Namen Großbritanniens schimmern und strahlen.


IX.

Die beste Illustration für die Racenthese Beaconsfield’s ist er selbst! Denn in ihm kamen die markantesten Charakterzüge des jüdischen Stammes, die ich in meiner Schrift: »Der jüdische Stamm«, ethnographische Studien (Wien 1869) ausführlich erörtert habe, zum Durchbruche und zur Bethätigung. In ihm durchdrangen sich Partikularismus und Universalismus, Enthusiasmus und Verstandesschärfe, Stabilität und Fortschrittsfähigkeit, Subjektivität und objektive Hingebung an andere Völker. Er, in dessen Adern rein hebräisches Blut rollte, hat es verstanden, sich hineinzuleben in die britische Welt, in die Eigenthümlichkeiten des britischen Volkes, in den Ideenkreis der britischen Hochadeligen in einer so ausgesprochenen Weise, daß er zum Führer und Regenten Englands sich emporschwang. Seine ganze poetische und politische Thätigkeit war von ihren ersten Anfängen an eine teleologische, zwecksuchende und zielbewußte, und seine Romane waren zum Theil Tendenzromane, welche den Zauber der duftenden Erzählung in Anspruch nahmen, um seine persönlichen Zwecke zu fördern. Der Schauplatz der Erzählung wurde ihm zum Kampfplatze, die redenden Personen waren gleichsam seine Gesandten und Consuln, die Handelnden seine Waffengefährten. Er war fest, ausdauernd, hartnäckig, unbeugsam *) in der Verfolgung und Erreichung dessen, was er vor Augen hatte. Nichts schreckte ihn ab, Nichts beugte seinen Muth, mit der Elasticität seines Stammes erhebt er sich immer von Neuem zum Angriffe, zeigt sich immer erfinderisch, sucht immer neue Miltel und Wege auf, um einen Schritt vorwärts zu thun auf der Bahn seines ehrgeizigen strebens, Er
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*) Nach Brandes' »Charakterbild«, Seite 27, ließ Disraeli bei seinem ersten Wahlkampfe auf seine Fahne die Worte schreiben: »Forti nihil difficile.« Dieses Motto klingt fast wie der talmudische Spruch: »Chuzpa clappé schemaja mehanja«, d. h. »Beharrlichkeit besiegt selbst den Himmel.«


beginnt seine Kräfte im politischen Wettstreite zu erproben, mit dem unerschütterlihen Glauben an seinen providentiellen Beruf, an seine Befähigung und Begabung für das hohe Ziel, das er sich vorsteckte, an seine Zukunft, die hell wie ein Stern aus nebelhaften Elementen sich allmählig bilden und leuchten werde. Der junge Benjamin Disraeli, von jüdischer Abstammung, mit ausgeprägtem jüdischem Typus, der Sohn eines bürgerlichen Rentiers, eingeschlossen von der Dornenhecke nationaler und religiöser Vorurtheile, hatte sich, von den dunklen Mächten seines Innern getrieben, nichts Geringeres vorgenommen, als Premier-Minister Englands zu werden und — er ward es! Wer sieht hier nicht den ganzen jüd. Stamm, in einem einzelnen Sohne desselben personificirt, an sich vorüberziehen? Weder Rom's Cäsaren und Päpste, weder die Kaiser des heiligen römischen Reiches, noch die Beschlüsse der Kirchenconzilien, weder clericaler Glaubenseifer, noch die Wuthausbrüche des Pöbels, weder die Torquemada's in Spanien, noch die kleinen Luther's auf deutschem Boden, weder lodernde Scheiterhaufen, noch verschiedenfarbige Abzeichen, weder das Hohngeshrei der wilden christlichen Massen, noch die süßen Lockrufe der christlichen Liebe waren im Stande, das jüdische Volk zu beugen und zu brechen, irre zu machen in seinem religiösen Bewußtsein, ihm den festen Glauben zu entreißen, daß es eine erhabene Mission in der Geschichte hat, daß seine Vergangenheit eine ruhmvolle, welthistorische ist, und daß seine Zukunft von keiner Macht auf Erden vernichtet werden kann. Was sind die Reden, die Zeitungsartikel, die Carrikaturen, die Pamphlete, welche gegen Benjamin Disraeli gerichtet wurden, im Vergleiche zu jenen kaum zu zählenden mündlichen und schriftlichen Worten, welche im Laufe von Jahrhunderten von allen christlichen Völkern wider die Juden sich erhoben, sie herabwürdigten, schmähten, schändeten, brandmarkten und zum Scheusal machten? Der jüdische Stamm wird aus den welthistorischen Kämpfen ebenso siegreich hervorgehen, wie sein berühmter Sohn, hinter dessen Sarg die Prinzen und die ersten Würdenträger Großbritanniens trauernd einhergingen, und dessen Grab die Königin von England und Kaiserin von Indien als Zeichen der Zuneigung und Freundschaft besuchte. Zum Schlusse noch eine Frage: Wie ist Lord Beaconsfield der Sohn des jüdischen Volkes, den der Vater im Stande religiöser Unmündigkeit hatte taufen lassen und der dann öffentlich zum Christenthum sich bekannte, aber die Vorzüglichkeit seines Stammes und die Hoheit des Judenthums mit der Wohlredenheit und Vornehmheit seiner spanischen Vorfahren sein ganzes Leben hineinvertrat, zur besseren Würdigung des Judenthums und der Bekenner durch sein mächtiges Wort und durch den Nimbus seines Namens sehr viel beitrug, in streng jüdisch-confessionellen Kreis zu behandeln? Die Beantwortung derselben möge der Leser folgender Thatsache entnehmen.

Lord Beaconsfield wurde bei seiner Rückkehr vom Ber Congresse, wo er auch die Gleichberechtigung der Juden Bulgarien, Serbien und Rumänien mit vertreten hatte, auf dem Charing Croßbahnhofe von den vornehmsten Personen Englands wie von dessen Volke wie in einem Triumphe empfangen. Unter den auf die Ankunft des großen Staatsmannes harrenden Personen befand sich auch der hochbetagte, hochconservative, wie seiner philantropischen Missionen von Juden und Christen hochverehrte Sir Moses Montefiore. Als der vom Jubel des großbritannischen Volkes umrauschte Triumphator den ehrwürdigen Greis erblickte, ging er auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Benjamin, der Sohn Isaak Disraeli's und Sir Moses Montefiore vor den Augen des großbritannischen Volkes einander die Hände drückend — das is die Antwort!