V. 3. Beim Duft deiner guten Öle

V. 3. Beim Duft deiner guten Öle.
Alle die Loblieder, sagte R. Janai bar R. Simeon, welche die Väter vor dir, Gott, gesungen haben, sind nur Duft gewesen, allein von uns gilt: „ausgegossenes Öl dein Name“ d. i. wie der Mensch das Öl aus einem Gefäße in das andere gießt, ebenso waren die Satzungen, welche die Väter vor dir geübt haben, nur Duft, von uns aber gilt: „ausgegossenes Öl dein Name.“ Es sind 248 Gebote und 365 Verbote. R. Elieser sagt: Wenn alle Meere Tinte, alle Schilfrohre Griffel, Himmel und Erde Rollen und alle Menschen Schreiber wären, so vermöchte man doch nicht die Thora, die ich kennen gelernt habe, niederzuschreiben, und ich habe mir nur soviel angeeignet, wie wenn ein Mensch die Spitze des Schminkstiftes ins Meer taucht. Ebenso sagte auch R. Josua: Wenn alle Meere Tinte, alle Schilfrohre Griffel, Himmel und Erde Pergamente wären, so vermöchte man nicht die Thora, die ich kennen gelernt habe, niederzuschreiben und ich habe mir nur soviel angeeignet, wie wenn ein Mensch die Spitze des Schminkstiftes ins Meer taucht. Allein R. Akiba sprach sich auf diese Weise aus: Ich vermag nicht das von mir zu sagen, was meine Lehrer geäußert haben, sondern ich habe mir nur soviel angeeignet, wie wenn ein Mensch an einen Ethrog (Paradiesapfel) riecht, er hat zwar einen Genuss, jener aber nimmt dabei nicht ab (eig. jenem aber mangelt nichts); ich gleiche dem, welcher aus reinem quellenden Wasser sein Gefäß hebt, oder dem, der ein Licht an dem andern anzündet.
R. Akiba kam einmal zu spät in das Lehrhaus, weshalb er draußen blieb, darin aber wurde eine Frage angeregt, welche eine Halacha betraf. Da hieß es: Die Halacha ist draußen; es folgte darauf eine andere Frage und es hieß auch: Die Thora ist draußen; endlich wurde noch eine Frage erörtert und nun hieß es: R. Akiba ist draußen. Es wurde ihm Platz gemacht, er kam und setzte sich zu den Füssen des R. Elieser, dessen Lehrhaus so rund wie eine Art Rennbahn (Augenbraue) gebaut war und es lag ein Stein dort, welcher für ihn zum Sitze bestimmt war. Diesen küsste R. Josua mit den Worten: Dieser Stein gleicht dem Berge Sinai und der, welcher darauf sitzt, der Bundeslade.
Oder unter „dem Dufte deiner guten Öle“ ist nach R. Acha im Namen des R. Tanchuma bar R. Chija das Öl der Priester und der Königsweihe, nach den Rabbinen die geschriebene und die mündliche Lehre zu verstehen. „Ausgegossenes Öl dein Name.“ Wer mit dem Öle der Thora sich beschäftigt, erhebt sich über alles. Dies ist die Meinung des R. Judan, welcher auf Jesaja. 10, 27 verweist, wo es heißt: „zerbrochen wird das Joch vor Fett“ d. i. das Joch Sancheribs wird von Chiskia und seinem Kollegium zerbrochen werden, die mit dem Öle der Thora sich beschäftigten. Oder wie dieses Öl anfangs widrig (bitter), zuletzt aber heilsam (süß) ist, „so wird auch dein Anfang gering sein,  aber dein Ende wird sehr wachsen“  (s. Hi. 8, 7 d. i. so kostet dir die Ergründung der Thora anfangs viel Überwindung, nachher aber gewährt sie Ergötzlichkeit).
Oder wie das Ö1 nur durch Stossen gut wird, so tun die Israeliten auch nur durch Leiden Busse, und wie das Öl sich nicht mit andern Getränken vermischt, so mischt sich auch Israel nicht mit den Völkern der Welt s. Deut. 4, 3, und sowie vom Öl das, was man von einem übervollen Becher ablaufen lässt, sich nicht mit anderen Getränken vermischt (zusammenfließt), ebenso wenig vereinigen sich die Worte der Thora mit leichtfertigen Reden (Spöttereien); wie das Öl in einem Gefäße den hineingefallenen Wassertropfen verdrängt (denn jenes schwimmt oben auf), so verdrängt das Wort der Thora, das in deinem Herzen Eingang gefunden, unnützes Geschwätz, und so auch umgekehrt, wenn unnützes Geschwätz in deinem Herzen Eingang gefunden, so verdrängt es das Wort der Thora; wie das Öl der Welt Licht bringt, so dient auch Israel zur Erleuchtung der Welt s. Jes. 60, 3; wie das Öl auf allen Getränken oben schwimmt, so wird auch Israel alle Völker überragen s. Deut. 28, 1; wie das Öl keinen Laut von sich gibt, so wird auch den Israeliten die laute Stimme nur in dieser, nicht aber in jener Welt fehlen s. Jes. 29, 4.
R. Jochanan legte obigen Vers auf unsern Vater Abraham aus. Dieser glich, als Gott ihn seine Heimat verlassen hieß s. Gen: 21, 1, einer Flasche mit Balsam, welche in einem Winkel lag und daher ihren Duft nicht eher verbreitete, als bis einer kam und sie ihrer Verborgenheit entrückte und ins Freie versetzte. So sprach auch Gott zu Abraham: Abraham, du hast viel Ersprießliches gewirkt (eig. du bist im Besitz vieler guter Werke und hast viele Vorschriften beobachtet), begib dich nun in die weite Welt und dein Name wird an Größe in meiner Welt gewinnen s. das. 12, 2.
Darum lieben dich Jungfrauen. Gott sprach zu Abraham: Du hast viele Welten (tvmli Plur. von ,lvi, nicht von hmli Jungfrau), als dein Weib, deines Bruders Sohn und die Seelen, die sie in Haran gestellt s. das. 12, 5, die dich lieben. Wie ist aber Letzteres zu verstehen, da doch die ganze Welt nicht eine Mücke zu erschaffen im Stande ist? Es sind die Proselyten gemeint, die von Abraham und Sara zur wahren Erkenntnis gebracht worden waren, darum heißt es: „Und die Seelen, welche sie in Haran gestellt haben.“ R. Hunja sagte: Abraham bekehrte die Männer und Sara die Frauen. Was heißt das: „Die Seelen, die sie in Haran gestellt haben.“ Unser Vater Abraham nahm sie gastfreundlich in sein Haus auf, bewirtete sie (eig. gab ihnen zu essen und zu trinken), behandelte sie liebreich, näherte sie und bekehrte sie zum Judentum und brachte sie unter die Fittiche der Gottheit, was so angesehen wird, als hätte er sie erschaffen, gebildet und gestaltet. R. Berachja sagte: Die Israeliten sprechen vor Gott:  Herr der Welt! sowie du Licht in die Welt kommen lässt, wird dein Name in der Welt verherrlicht. Welches Licht? Das Licht der Erlösung; denn sobald du uns dieses Licht bringst, kommen viele Proselyten zu uns, bekehren sich und schließen sich uns an, wie z. B. Jethro s. Ex. 18, 10. 11 , Rachab s. Jos. 2, 11, welche beide hörten und kamen. Ebenso schlossen sich nach der Meinung des R. Chanina zu der Zeit, in welcher den Männern Chananja, Mischael und Asarja ein Wunder geschah, viele Proselyten Israel an s. Jes. 29, 23. Was steht nachher? S. das. V. 24.
Oder der Sinn der Worte: „Darum lieben dich Jungfrauen“ ist dieser: Weil du uns Beute von Ägypten, auf dem Meere, von Sichon und Og und von den 31 Königen gegeben hast, darum lieben wir dich. Oder der Sinn der Worte ist dieser: Weil du ihnen den Tag des Todes und des Trostes verborgen hast, darum lieben sie dich. Oder sie lieben dich tvmlib d. i. mit Hurtigkeit (Kräftigkeit tvzyrzb). Andere wollen unter tvmli die Bußfertigen (hbvst ylib) verstehen, welche dem Verderben (tvm li) nahe waren. Oder es ist mit dem Worte jene dritte, Sacharja 1, 19 erwähnte Klasse von Sündern gemeint. Oder das Wort bezieht sich auf die Proselyten s. Hab. 3, 2, oder auf die Zeitgenossen der Hadrianischen Religionsverfolgung s. Ps. 44, 23, oder auf die Israeliten s. Deut. 4, 8. Oder der Sinn der Worte: „Darum lieben dich Jungfrauen“ ist dieser: Weil du den einstigen Lohn der Gerechten vor ihnen verborgen hast (tmlihs), denn R. Berachja und R. Chelbo haben gesagt: Einst wird Gott an der Spitze des Reigentanzes mit den Gerechten in der künftigen Welt stehen, wie Ps. 48, 14 geschrieben stehet, wo hlvx zu lesen ist. Gerechte stehen von der einen und von der andern Seite und Gott befindet sich in ihrer Mitte und sie tanzen vor ihm mit Jugendkraft (tvmlib), zeigen mit dem Finger auf ihn und sprechen: „Dieser Gott ist unser Gott auf ewig, er wird uns leiten bis zum Tode       (tvm li)“ d. i. er wird uns in zwei Welten zur Unsterblichkeit führen, in diese und jene Welt. Oder: „Er wird uns führen tvm li“ d. i. mit Jugendkraft (tvmy lib) und Hurtigkeit. Oder er wird uns führen wie diese Jungfrauen (atmylvi ]ylyak), vergl. Ps. 68,26. Akilas übersetzt das Wort tm=li Ps. 48, 15 durch Unsterblichkeit d. i. tvm la über den Tod hinaus. Die einen winken den andern mit dem Finger und sprechen: „Dieser ist unser Gott auf ewig, er wird uns leiten tvmli“ d. i. er wird uns in zwei Welten führen, in diese und jene Welt, in diese Welt s. Deut. 15, 6 und in jene Welt s. Jes. 58;11.