Über die Ehre gegenüber eines Lehrers oder Gelehrten

Abschnitt 242-245

Über die Ehre, welche man seinem Lehrer und überhaupt jedem Gelehrten schuldig ist.
Die Ehre und Ehrfurcht, die man seinem Lehrer schuldig ist, geht noch über die, welche man dem Vater schuldig ist, denn der Vater hat ihn in diese Welt gesetzt, der Lehrer aber verhilft ihm zu jener Welt. Ist der Vater sein beständiger Lehrer, so muss er ihn mit dem Namen mein Lehrer anreden, sonst aber nur mit dem Namen Vater. Wer gegen seinen Lehrer streitet, Zank mit ihm anfängt, schlecht von ihm spricht, schlechte Gedanken gegen ihn hegt, ist ebenso, als wenn er dies gegen die Schechina (Herrlichkeit Gottes) getan hätte! Streiten gegen seinen Lehrer heißt, sich auf seine eigene Hand hinsetzen, forschen in der Schrift und seine Resultate anderen lehren, ohne von seinem Lehrer Erlaubnis dazu erhalten zu haben, selbst wenn der Lehrer in einer anderen Stadt ist; wohl aber ist es erlaubt, in einzelnen Fällen anderer Meinung mit seinem Lehrer zu sein, wenn man nämlich genügend Beweise für seine Meinung hat. Ist der Lehrer gegenwärtig, so darf  keiner seiner Schüler ein Urteil sprechen; wer dies tut, ist des Todes schuldig. Wenn der Lehrer nicht weiter als drei Parßaoth (ein Meilenmaß) von der Schule entfernt ist, so darf dieser es doch nicht tun, selbst wenn er deshalb die Erlaubnis genommen hat, wenn dies nämlich sein beständiger Lehrer ist. (Einige Rabbi streiten dagegen.) Ist der Lehrer mehr als zwölf Meilen von ihm entfernt und es fragt ihn jemand zufällig über irgend ein Gesetz, so kann er wohl antworten; aber sich hinsetzen und ein Urteil über einen wirklich vor ihm kommenden Fall zu fällen, ist verboten, und wenn sein Lehrer auch bis an das Ende der Welt von ihm entfernt wäre, bis ihm dieser die Erlaubnis dazu gibt oder er stirbt.
Das Gesagte ist aber nur bei seinem beständigen Lehrer anwendbar, ist er aber ein probater Schüler des Lehrers, so gut als sein Freund, sein Gesellschafter – er ist sehr erfahren im Gesetz und nicht weit davon, selbst Lehrer zu werden – so ist ihm so etwas erlaubt; selbst innerhalb einer Entfernung von drei Parßaoth; jedoch soll er, nach einigen Rabbis, in Gegenwart seiner Lehrer dies nicht tun, auch nicht, wenn der Lehrer zwar nicht gegenwärtig ist, der Frager wollte aber haben, dass man den Lehrer erst befrage, überhaupt, wenn derselbe ausgezeichnet gelehrt und auch schon alt ist, dann darf man in seiner Stadt kein Urteil fällen, selbst ein probater Schüler nicht. Einige Rabbi wollen, dass auch ein fertiger Schüler kein Urteil fällen darf in einer Entfernung von zwölf Meilen und wenn er es tut, ist er des Todes schuldig; ist die Entfernung aber mehr als zwölf Meilen, so ist es zwar noch nicht erlaubt, aber man ist keiner Strafe unterworfen, wenn man es getan hat usw. Kein Schüler kann einem anderen als Lehrer ordinieren statt des seinigen (wenn dieser gestorben oder versetzt ist), sondern dies muss ein anderer Lehrer tun. Ist der Ordinierte nicht von dem ordiniert worden, der dies gewöhnlich tut, sondern von anderen Rabbis und dieser war mit ihm, so hat dieser dem Ordinierten nichts zu befehlen, er müsste denn sein Lehrer sein. Wird aber Jemand von einem Rabbi allein ordiniert, so ist der Gebrauch, dass der Ordinierte sich etwas bückt, damit der Rabbi die Hand auf seinem Kopf legen kann. Wenn Jemand eine (bekannte) Zeit lang auf der hbysy Jeschibah (So wird die jüdische Universität genannt, wo der Talmud studiert wird.) gelernt hat, so nennt man ihn (die anderen Schüler) vorzugsweise den Herrn (Meister) der Jeschibah, obschon der eigentliche Herr der Jeschibah möglicherweise mehr neue Gesetze gehört hat, als dieser. Ein Urteil fällen heißt es nur, wenn der Frager etwas Neues erfährt; aber etwas aussprechen, was einem Jeden bekannt ist, z.B. etwas Verbotenes wird erlaubt, wenn man es unter 60 erlaubte Teile seinesgleichen vermischt, u. dgl. m., ist auch dem Schüler gestattet. Kein Rabbi darf etwas für erlaubt, erklären, worüber der Frager sich sehr wundern kann, ohne zugleich die Ursache seines Urteils hinzuzufügen, sonst könnte man glauben, er erlaube etwas, was verboten ist. Aber jemanden von etwas Verbotenem zurückhalten, der es entweder nicht weiß, dass es verboten ist oder aus Gottlosigkeit nicht wissen will, kann dadurch nicht verwehrt werden, dass man sagt, dies wäre verboten, selbst in Gegenwart des Lehrers nicht; denn bei allen Gelegenheiten, wo der Name Gottes entweiht werden kann, wird auf die Ehre des Gelehrten nicht Rücksicht genommen. Wenn die Hausleute des Schülers etwas vom Gesetze wissen wollen, so darf er es nicht sagen, wenn sein Lehrer im Orte ist. Auch kann ein Schüler, dessen Lehrer gestorben ist, sich nicht gleich hinsetzen und dessen Stelle vertreten, wenn er nicht dazu eingesetzt wird; jeder Schüler, der dies dennoch tut, heißt ein Narr, ein Bösewicht und ein stolzer Mensch, und auf ihn zielt der Vers: Spr. Sal. 7, 25. Solche kleine unreife Schüler, die voreilig im Urteil fällen sind und sich obenan setzen, um in den Augen von Idioten groß zu tun und zu zeigen, dass sie gelehrt sind, machen viel Unordnung in der Welt und löschen das Licht der Thora aus.
Man soll sich in Acht nehmen, ein Urteil im Gesetz zu fällen, wenn man Wein oder andere berauschende Getränke zu sich genommen hat; auch in der allergeringsten Sache ist darauf zu achten oder die Sache müsste so klar sein, dass sie Jeder weiß.
Ein jeder Gelehrter, der ordiniert ist und das Gesetz nicht lehrt, auch bei vorkommenden Sachen kein Urteil fällen will, entzieht Israel dem Gesetze und gibt Vielen Gelegenheit, zu sündigen; und auf solchen zielt der Vers (das Ende desselben): Spr. Sal. 7, 25. Die jetzige Art, zu ordinieren, geschieht nur, dass man allgemein wisse, dass der Betreffende über vorkommende Gesetzfragen Urteile fällen kann im Namen seines Lehrers, der ihn ordinierte; wenn dieser, sein Lehrer, verstorben ist, so bedarf der einmal Ordinierte keiner weiteren Ordination mehr. Ebenso ist es bei einem probaten Schüler, welcher keine Erlaubnis vom Lehrer nötig hat, um Urteile zu fällen, dieser bedarf auch keiner Ordination. Einige Rabbiner wollen, dass, so lange Jemand nicht den Titel Morenu, unser Lehrer, erhalten hat, (Es sind gewisse Grade, die der Israelit erhält, wenn er in der Synagoge zur Anhörung der Vorlesung der Thora aufgerufen wird; der geringste ist: Rebbi, nicht Rabbi (mein Herr); ist der Israelit einigermaßen im Gesetz bewandert, so wird er bei dieser Gelegenheit mit Chaber (Vornehmer) tituliert; diesen Titel erteilt der Oberrabbiner (für Geld); er wird daher auch oft einem reichen Juden erteilt, wenn dieser auch gar keine Gelehrsamkeit besitzt; dann folgt: Morenu (unser Lehrer), für einen wirklichen Gelehrten; der Oberrabbiner wird mit More, Morenu (Rabbi) tituliert.) er keine Scheide – oder Chalizahbriefe ausgeben dürfe, und sollte es doch geschehen sein, so haben sie keine Gültigkeit, es müsste denn allgemein bekannt sein, dass dieser Mann ein sehr probater Gelehrter sei, zugleich aber sehr bescheiden und anspruchslos, nach keinen Titeln verlangend. Einige Rabbiner bestreiten es und sind nicht schärfend in dieser Sache; man kann indessen jederzeit, wo die Not es erfordert, gelinde verfahren, sonst aber nicht, denn die Gebräuche in Israel sind so gut, als das Gesetz (Thora) selbst; so scheint mir, sagt die Hagah. Ferner scheint mir, heißt es weiter, dass es erlaubt sei, Jemandem, der als quasi Rabbiner einen Scheidebrief ausgeben soll, vorher den Titel „Morenu“ zu erteilen; vormals war dies nicht erlaubt, als die Ordination noch strenger war, jetzt aber, wo es nur einer Erlaubnis vom Rabbiner dazu bedarf, kann man so etwas wohl tun.
Kein Schüler darf seinen Lehrer bei dessen bloßen Namen nennen, sondern immer hinzufügen „mein Herr und Lehrer“, selbst nach seinem Tode noch; wenn jemand anderer denselben Namen hat und dieser Name kein gewöhnlicher ist, so darf man auch diesen nicht bei seinem Namen nennen. Man darf den Lehrer nicht auf gewöhnliche Art grüßen oder seinen Gruß erwidern, sondern man muss sich vor ihm neigen und mit Ehre und Ehrfurcht zu ihm sagen: Friede sei mit dir, mein Lehrer. Grüßt der Lehrer zuerst, so muss der Begrüßte sagen: Friede sei mit dir, mein Herr und Lehrer. (So ist auch der Gebrauch.) Einige wollen, dass der Schüler den Lehrer nicht grüßen dürfe (denn dies würde zu familiär sein), weil es auch in Hiob 29, 8 heißt: „Jünglinge sahen mich und traten zurück.“ Man darf auch in Gegenwart des Lehrers die Tephilin (Gebetriemen) nicht abnehmen, ferner in seiner Gegenwart sich bei Tische nicht anlehnen, sondern man muss sich benehmen, als wenn man vor einem König säße. Ist ein Schüler bei einem Gastmahl oder auch bei einer einfachen Mahlzeit, wo sein Lehrer mit noch Mehreren anwesend ist, so muss er erst diesen und dann die anderen um Erlaubnis fragen, ob er Anteil an der Mahlzeit nehmen dürfe. Man soll sich auch nicht vor ihn stellen und beten (die bekannten 18 Gebete), auch nicht hinter ihn, auch nicht von der Seite, weil es den Schein hat, als stelle man sich dem Lehrer gleich; hinter ihm darf man deshalb nicht beten, damit der Lehrer, wenn er sein Gebet beendigt hat und bekanntlich drei Schritte rückwärts gehen muss, von dem Schüler hinter ihm darin nicht gestört werde. Es versteht sich, dass man auf der Straße oder sonst irgendwo nicht an der Seite des Lehrers gehen dürfe, sondern sich etwas in der Entfernung – von der Seite – halten müsse; in einer Entfernung von vier Ellen aber ist alles erlaubt. Kein Schüler darf mit dem Lehrer zugleich in ein Badehaus gehen, der letztere müsste ihn denn nötig haben; war aber der Schüler schon im Bade, als der Lehrer kam, so hat jener nicht nötig, sich zu entfernen. Wo der Gebrauch ist, dass man nicht ganz nackt ins Bad geht, sondern die Unterhosen anbehält, da ist es erlaubt, mit dem Lehrer zugleich ins Bad zu gehen. Man darf ohne Erlaubnis des Lehrers sich nicht setzen und auch nicht früher aufstehen. Entlässt der Lehrer den Schüler, so darf dieser jenem nicht den Rücken zukehren, sondern er muss sich rückwärts entfernen. Wenn jemand von seinem Lehrer entlassen ist (auf seine Bitte, verreisen zu wollen) und bleibt noch eine Nacht in der Stadt, so muss er nochmals Erlaubnis nehmen; hat er aber dem Lehrer zugleich bei seiner Abreise gesagt, dass er willens sei, noch eine Nacht in der Stadt zu bleiben, dann braucht er keine zweite Erlaubnis. Man darf sich nicht auf den Sitz seines Lehrers setzen, kein Urteil über seinen Ausspruch fällen, ihm nicht widersprechen usw.; man muss vor ihm aufstehen, sobald man ihn sieht und so lange stehen bleiben, bis er aus dem Gesichte ist, er mag nun gehen oder reiten. Einige Rabbiner wollen, dass man nur des Morgens und des Abends nötig habe, vor seinem Lehrer aufzustehen (denn er wäre ja nicht mehr als Gott; das Schma, die Anerkennung Gottes, geschähe ja auch nur zweimal des Tages, des Morgens und des Abends, sagt der Ture Sahab), d.h. in des Lehrers Hause; aber in Gegenwart anderer, die nicht wissen, dass er bereits schon vor seinem Lehrer aufgestanden ist, muss er noch einmal aufstehen. Der Tur jedoch und dessen Vater wollen, dass man überall, so oft man den Lehrer sieht, vor ihm aufstehen müsse, denn Rabbi Akiba hat bewiesen, dass man vor dem Lehrer ebenso viel Ehrfurcht haben müsse, als vor Gott; wenn es möglich wäre, Gott hundertmal des Tages zu sehen, müsste man doch gewiss jedes Mal vor ihm aufstehen. Wenn der Lehrer mit noch anderen Personen auf der Straße oder sonst wo geht, so lässt man den Lehrer in der Mitte, die älteste zur Rechten (etwas seitwärts) und die jüngste Person zur Linken gehen; hat der Schüler seinen Lehrer gerufen, er möchte in der Synagoge aus der Thora vorlesen (oder die Vorlesung mit anhören), so braucht er nicht so lange zu stehen, als der Lehrer stehen muss . Alle Arbeiten, welche ein Diener seinem Herrn tun muss, muss auch der Schüler seinem Lehrer tun. Ist der Schüler mit dem Lehrer aber an einem Ort, wo man den Ersteren nicht kennt und er hat keine Tephilin am Kopfe (die damaligen Israeliten, besonders die Gelehrten hielten die Tephilin den ganzen Tag auf dem Kopf) und könnte man glauben, er (der Schüler) wäre ein Sklave, so darf er dem Lehrer die Schuhe nicht an- oder ausziehen.

Wer seinen Schüler die Gelegenheit entzieht, ihn zu bedienen, der entzieht ihm die göttliche Gnade und entledigt ihn von der Gottesfrucht; jeder Schüler, der etwas an der Ehre seines Lehrers vernachlässigt, verursacht, dass die Schechina (die Herrlichkeit Gottes) sich von Israel abwende. Man darf keinem Schüler in Gegenwart seines Lehrers Ehre bezeigen, wenn nicht dieser ihm auch Ehre bezeigt. Sieht ein Schüler, dass sein Lehrer gegen das Gesetz handelt, so darf er ihm nur sagen: Sie, mein Lehrer, haben mich so (das Entgegengesetzte) gelehrt; aber nicht gerade zu ihm sagen, er habe das Gesetz übertreten. Jederzeit, wenn der Schüler etwas (das Gesetz betreffend) von dem Lehrer gehört zu haben erwähnt, muss er hinzufügen: so hat mich mein Lehrer gelehrt. Kein Schüler darf in Gegenwart seines Lehrers etwas erwähnen, was er nicht von diesem gehört hat, ohne denjenigen zu nennen, von dem er solches vernommen hat. Stirbt der Lehrer, so muss der Schüler alle seine Kleider von oben zerreißen, so dass das Herz ganz entblößt wird. Andere Rabbis behaupten, dass der Schüler nur nötig habe, eine Handbreit von oben an seine Kleider zu zerreißen; diese Risse dürfen aber nie zugenäht werden. Kein Schüler darf Fleisch essen oder Wein trinken, so lange sein verstorbener Lehrer noch über der Erde ist. Vor zwölf Monaten nach dem Tode des Lehrers soll der Schüler jedes Mal, wenn er seiner erwähnt, sagen: ich will ein Opfer für ihn sein. Kein Schüler darf in Gegenwart seines Lehrers ausspeien, d.h., sagt die Hagah, mit Gewalt die Unreinigkeit des Körpers herauf husten und auswerfen, aber Speichel, der ihn unwillkürlich im Munde kommt, kann er ausspeien.

Alles bisher Gesagte gilt nur von seinem beständigen Lehrer, von welchem er das meiste, was er weiß, gelernt hat, sei dies nun die Schrift, die Mischnah oder der Talmud. Es ist nicht gemeint — sagt die Hagah — dass er von ihm die Kunst zu disputieren und die verschiedenen Meinungen der Rabbiner gelernt hat, sondern die Schlussurteile von jedem Gesetz, was auch das Wahre und Rechte ist. Ist es aber ein solcher Lehrer, von welchem er nur einen Teil seiner Gelehrsamkeit gelernt hat, so hat er nicht nötig, ihn durch alle oben erwähnten Dinge zu ehren; aber er muss doch vor ihm aufstehen, sobald er in seinen Bereich (vier Ellen im Quadrat) kommt, und muss bei seinem Tode trauern, seine Kleider zerreißen, selbst wenn er nur eine einzige Sache im Gesetz von ihm gelernt hat. Jeder sinnige und vernünftige Gelehrte spricht nichts in Gegenwart desjenigen, welcher gelehrter, als er selbst ist, auch wenn er gar nichts von ihm gelernt hat. Vor seinem 40. Jahre soll sich Niemand als Lehrer aufstellen, wenn in seiner Stadt ein größerer Gelehrter sich befindet, als er selbst ist und wenn dieser auch nicht sein Lehrer wäre. Hat ein Gelehrter etwas verboten, so darf ein anderer Gelehrter dies nicht erlauben, selbst wenn er Gründe dafür hätte; hat er aber eine Tradition für seine Meinung oder beweist er, dass sich der erste in der Mischnah (Text des Talmud) geirrt hat, dann kann er die Sache wieder erlaubt machen. Aber selbst wenn er nur Vernunftgründe für sich hätte, so kann er doch mit dem ersten Lehrer die Sache ordentlich verhandeln, so lange, bis es ihm gelingt, jenen zum Widerruf zu bringen. Deshalb darf Niemand, der irgend einer Sache wegen schon einen Lehrer befragt hat, einen zweiten Lehrer deshalb befragen, er müsste denn gleich dabei sagen, dass ein Gelehrter die Sache verboten habe. Hat der erste Lehrer die Sache erlaubt, und hat man sich dieser Erlaubnis schon bedient, so darf ein zweiter diese Sache — selbst mit Vernunftgründen — nicht mehr als unerlaubt erklären.

Zu Mauern, Türmen, Wächtern brauchen Gelehrte nichts zu geben, denn sie bedürfen keiner Bewachung; das Gesetz, die Thora, oder vielmehr Gott bewacht sie; daher sind Gelehrte frei von Zahlung aller Zölle, der Kopfsteuer, bestimmt oder unbestimmt, ohne Ausnahme; die Gemeinde muss für sie zahlen. Selbst wenn der (nichtjüdische) König befohlen hat, dass die Gelehrten auch die Zölle zahlen sollten, so muss doch die (jüdische) Gemeinde für sie zahlen. Wenn auch die Vorsteher der Gemeinde die Gelehrten mit Bann belegt hätten, dass sie ebenfalls Zoll zahlen sollten, so hat dieser Bann nichts zu bedeuten; im Gegenteil, die Gelehrten können die Vorsteher mit Bann bestrafen, damit sie für sie den Zoll bezahlen und dieser Bann gilt; es ist kein Unterschied hierin, ob die Gelehrten reich oder arm sind. Hier ist aber nur die Rede von Gelehrten von Profession; diejenigen aber, deren Beschäftigung nicht im beständigen Studieren besteht, sondern die noch eine andere Hantierung haben, müssen mit beitragen. Ist es aber ein Gelehrter, der nur ein geringes Handwerk oder einen kleinen Handel hat, um sich eben ernähren zu können, aber seine meiste Zeit mit Studieren verbringt, so wird er auch als ein Gelehrter von Profession betrachtet und brauch zu den Abgaben nichts beizutragen. Auch ist kein Unterschied, ob ein solcher Gelehrter eine **** (Jeschibah), eine Art Universität, hält, wo die Schüler Disputationen über den Talmud hören, auch bei Gelegenheit mitdisputieren können, oder ob er keine Jeschibah hält; wenn man nur weiß, dass er als ein großer Gelehrter gilt, der über das Gesetz gehörige Verhandlungen anstellen kann und die meisten Stellen im Talmud mit den Kommentatoren nebst den Aussprüchen der Geonim versteht und dessen Hauptbeschäftigung, wie gesagt, das Studieren ist; und obschon in unseren Zeiten ein solcher Gelehrter nicht lebt, dem man ein Pfund Gold zahlen müsste, wenn man ihn beschämt hat (zur Strafe, wie es vormals war), so nimmt man es doch wegen der Befreiung von den Abgaben nicht so genau, wenn einer nur im Allgemeinen als ein großer Gelehrter bekannt ist. In dessen ist doch an einigen Orten der Gebrauch nicht so. Ein Gelehrter, der die Gebote verachtet und in dem keine Gottesfurcht ist, ist zu betrachten als einer der Allergeringsten in der Gemeinde.

Einen Gelehrten, der Waren (auf dem Markt) zum Verkauf anbietet, lässt man seine Ware zuerst verkaufen, die anderen Kaufleute müssen so lange warten; sind aber auch nichtjüdische Verkäufer auf dem Markte, dann würde es dem gelehrten jüdischen Kaufmann nichts helfen und den anderen schaden.

Wenn ein Gelehrter einen Prozess mit Jemanden hat, so muss der Richter seine Sache vor allen anderen vornehmen und man lässt ihn sitzen. Es ist eine Sünde, Gelehrte zu verachten oder zu hassen; wer so etwas tut, der hat keinen Anteil an jenem Leben. Wenn Jemand die Mischna lehrt (anderen wiederholt, dass sie es nicht vergessen sollen) oder gar den Talmud — die Gemara — so darf man ihn nicht als Diener brauchen; wenn aber Not da ist, so soll man lieber denjenigen, der die Mischnah, als den, welcher den Talmud wiederholt, zur Bedienung nehmen. Wenn Zeugen da sind, dass Jemand einen Gelehrten auch nur durch Worte, selbst in seiner Abwesenheit, beleidigt hat, so wird jener vom Gerichte mit Bann bestraft und nur mit der Einwilligung des Gelehrten wieder daraus entlassen; hat Jemand einen Gelehrten nach dessen Tod beleidigt, so wird er ebenfalls vom Gerichte mit Bann belegt und nicht eher davon entbunden, bis er Buße getan hat. Der Gelehrte soll auch nicht ungerechter Weise mit Jemandem Zank anfangen und dadurch verursachen, dass man ihn wieder beleidigt; jedoch hat der Gelehrte nur unbedeutende Ursache zum Streit gegeben, so darf der Gegner nicht gleich frech und unverschämt gegen ihn. Ein Gelehrter, der von einem Idioten beleidigt worden ist, kann denselben gleich selbst mit Bann bestrafen und es bedarf seiner vorherigen Warnung und keines Zeugen deshalb! — und der Beleidiger wird nicht eher, als bis der Gelehrte seine Einwilligung dazu gibt, aus dem Banne entlassen; stirbt der Gelehrte vorher, so kann der Beleidiger nach vorhergegangener Buße durch drei Leute vom Bann befreit werden. Der beleidigte Gelehrte kann aber auch auf seine Ehre verzichten und hat nicht nötig, seinen Beleidiger gleich mit Bann zu bestrafen. Einige Rabbiner wollen, dass es in jetziger Zeit keinem Gelehrten erlaubt sei, Jemanden zu bannen und sich selbst Recht zu verschaffen. Andere dagegen erlauben es, wenn der Gelehrte probat ist. Jedenfalls ist es für keinen Gelehrten rühmlich, wenn er so sehr ehrfürchtig ist und sich selbst Recht verschafft, d.h. wenn niemand anderes die Beleidigung gehört hat; ist solche aber öffentlich geschehen, so darf er auf seine Ehre nicht verzichten, sondern er muss die Beleidigung rächen und den Hass im Herzen behalten, wie eine Schlange, bis der Beleidiger ihn um Verzeihung bittet und er ihm verzeihen will (Eine öffentliche Beleidigung eines Gelehrten ist zugleich eine Sünde gegen das Gesetz und auch gegen Gott, deshalb muss sie auch der beleidigte Gelehrte so scharf rügen.). Es ist ein Gebot (von den 248 Geboten, 3. B. M. 19, 32), vor einem Gelehrten aufzustehen, selbst wenn er noch jung und des Grüßenden Lehrer nicht ist, wenn er nur gelehrter ist, als dieser, so dass dieser noch von ihm lernen kann. Auch vor einem Greise, 70 Jahre alt, schebah, muss man aufstehen, wenn er auch ein Idiot ist; er muss aber das Gesetz nicht übertreten haben, d.h. ein – Rusche (Bösewicht) – sein. Das Aufstehen fängt an, sobald ein solcher Gelehrter oder Greis innerhalb des Bereiches der Sitzenden — 4 Ellen im Quadrat — gelangt und währt so lange, bis derselbe aus dem Gesichtskreise ist; auch macht es keinen Unterschied, ob derselbe zu Fuß oder zu Pferd ist. Sieht man einen solchen vorher, so darf man die Augen nicht zudrücken, um des Aufstehens überhoben zu sein. Am Aborte oder im Bade braucht man nicht aufzustehen, denn alsdann ist das Aufstehen nicht ehrend. Handwerksleute haben nicht nötig, während der Arbeit aufzustehen, und wenn solche für jemand im Taglohn arbeiten, so ist es ihnen sogar nicht erlaubt, aufzustehen (wegen Zeitversäumnis!) Es ist nicht recht von einem Gelehrten, wenn er das Volk bemüht und absichtlich vor ihm vorübergeht, damit der man vor ihm aufstehen soll; er muss im Gegenteil den kürzesten Weg wählen, um dem Volke nicht zu viel Mühe zu machen und kann er seinen Weg so einschlagen, dass er niemanden belästigt, so wird ihm dies (von Gott) als eine Gerechtigkeit angerechnet. Ein ganz junger Gelehrter jedoch muss von einem Greise (Idioten) zwar nicht ganz, aber doch ein wenig aufstehen, um ihn zu ehren. Selbst einen nichtjüdischen Greis muss man ehren und ihn, wenn es nötig ist, unterstützen. Zwei Gelehrte oder zwei Greise brauchen einer vor dem anderen nicht aufzustehen, sondern machen sich gegenseitig einander eine kleine Ehrenbezeugung; dies muss selbst der Lehrer seinem Schüler tun, wenn dieser ein Greis ist.

Vor seinem beständigen Lehrer muss man aufstehen und so lange stehen bleiben, bis er aus dem Gesichtskreise ist oder bis er — der Gelehrte — sich setzt. Vor einem weit berühmten Gelehrten, dem größten seiner Zeit, muss man eben so lange stehen bleiben, als vor seinem beständigen Lehrer und man muss selbst während des Studierens im Gesetz vor ihm stehen. Einem berühmten Gelehrten ist es erlaubt, vor einem sehr gottesfürchtigen Mann aufzustehen. Vor einem Vorsteher des Gerichtes muss man aufstehen, sobald man denselben sehen kann und so lange stehen bleiben, bis man vier Ellen von ihm entfernt ist. Vor einem Fürsten, Ober- oder Landesrabbiner usw. muss man aufstehen und so lange stehen bleiben, bis dieser sich hinsetzt oder bis er gänzlich aus den Augen ist. Alle diese können auf die Ehre verzichten —abwinken; aber selbst dann ist es doch recht, sie zu ehren und ein wenig vor ihnen aufzustehen. Wenn der Fürst, Ober- oder Landesrabbiner usw. in die Lehrschule kommt, müssen alle Anwesenden aufstehen und dürfen sich nicht früher setzen, bis Jener es ihnen befiehlt. Erscheint der Vorsteher des Gerichtes in der Schule, so macht man ihm von beiden Seiten (stehend) Platz, bis er an seine Stelle gelangt. Kommt sonst ein anderer Gelehrter in die Lehrschule, so müssen alle, welche in einer Entfernung von vier Ellen von ihm sind, aufstehen, bis er an seine Stelle gelangt ist. Die Söhne und die Schüler der Gelehrten können, wenn man sie nötig hat, über die Köpfe (Bänke) des Volkes steigen, um zu ihren Stellen zu gelangen. Es ist aber nicht rühmlich für einen Gelehrten, dass er zuletzt erscheine. Die Kinder der Weisen, welche zugleich Vorsteher der Gemeinde und bereits so erwachsen sind, dass sie etwas verstehen können, dürfen vor ihren Vätern sitzen und zuhören. Ist ein sehr berühmter, jedoch noch junger Gelehrter mit einem Greise, der nicht so gelehrt als jener ist, bei einer Gerichtssitzung oder in einer Lehrschule zusammen, so hat der junge Gelehrte den ersten Sitz und Vortrag; treffen sie sich aber bei einem Gastmahl oder auf einer Hochzeit, da hat der Greis den Vorzug. Ist der weniger Gelehrte aber auch nicht sehr alt, dann hat überall der größere Gelehrte den Vorzug; ist der Gelehrte jedoch nicht sehr berühmt, so geht es wieder überall nach dem Greisenalter, weil sich bei diesem zugleich auch einige Gelehrsamkeit findet. Ist keiner von Beiden ausgezeichnet, weder im Alter noch in Gelehrsamkeit, so geht der Ältere vor.