Über die Pflicht eines jeden Israeliten, im Gesetze zu studieren

Eine jeder Israelit hat diese Pflicht zu beobachten, er mag reich oder arm, gesund oder kränklich, jung oder alt sein, selbst ein Bettler, ein Verheirateter mit Kindern muss täglich des Morgens und des Abends eine bestimmte Zeit festsetzen zum Studieren oder zum Lernen, oder zum Wiederholen des Gesetzes. Jos. 1, 8: Und du sollst darüber (über das Gesetz) nachsinnen Tag und Nacht. In der Not ist aber das tägliche zweimalige Schma — Lesen, Morgens und Abends, auch genügend. Wer aber gar nicht zu lernen versteht oder zu viele Geschäfte hat, der muss anderen Gelehrten so viel geben, dass sie für ihn lernen und dies wird ihm (von Gott angerechnet), als wenn er selbst studiert hätte. Auch können zwei Personen die Bedingungen miteinander machen, dass die eine von ihnen sich gänzlich mit Studieren beschäftige und die andere dafür durch Handel sorgen wolle, dass erstere dies ohne Nahrungssorgen tun könne, so dass sie den beiderseitigen Gewinn (den diesseitigen und den jenseitigen in der anderen Welt von Gott) miteinander teilen. Hat die eine Person sich aber schon lange Zeit vorher mit Studieren beschäftigt, so kann sie der anderen den Lohn dafür (von Gott) nicht für Geld verkaufen.

Ein jeder soll sich erst hinlänglich mit Studieren beschäftigen und sich dann erst verheiraten; denn hat er sich erst verheiratet, dann ist es ihm nicht mehr möglich, sich dem Studium des Gesetzes zu widmen, weil er dann einen Mühlstein am Halse hat, für Nahrung sorgen muss. Kann er sich aber nicht ohne Frau behelfen, weil ihn der Trieb überwältigt, dann kann er sich zuerst verheiraten.

Bis zu welcher Zeit muss er studieren? Bis zu seinem Tode (5. B.M. 4, 9), „dass du Zeit deines Lebens die Lehre nicht vergisst“ (von deinem Herzen abweiche) und man vergisst jedes Mal, wenn man nicht immerfort studiert. Ein jeder soll sein Studieren in drei Klassen abteilen, ein Dritt Teil in der Thora, ein Dritt Teil in der Mischna und ein Dritt Teil im Talmud; so z.B. wenn jemand ein Handwerk treibt und beschäftigt sich damit täglich drei Stunden und die anderen neun Stunden mit Studieren, so soll er diese neune Stunden auf obige Weise einteilen usw. Einige Rabbis behaupten aber, da der babylonische Talmud mit der Schrift, der Mischna und der Gemara vermischt ist, brauche man eigentlich nur diesen (den Talmud) zu studieren und habe dadurch schon seine Pflicht erfüllt und dadurch dieses und jenes Leben erworben, aber nicht durch das Studieren anderer weltlicher Wissenschaften. Jedoch ist es erlaubt, zuweilen, durch Zufall, auch in den Büchern anderer Wissenschaften zu lesen, aber nicht in solchen, welche zur Abtrünnigkeit verleiten, und dies nennen die Weisen in einem Garten lustwandeln. Man soll dies aber nicht eher tun, bis man sich den Leib mit Fleisch und Wein, d.h. mit den göttlichen Geboten und Verboten, angefüllt habe, sie gehörig innehat. Wo der Gebrauch ist, die Thora für Geld zu lehren, da ist das erlaubt, aber (die Tadition, das mündliche Gesetz) den Talmud muss man umsonst lehren; jetzt ist der Gebrauch, alles für Geld zu lehren, wenn man sich nicht anders nähren kann oder wenn man dadurch zu viel bei den Handelsgeschäften versäumt. Wenn eine Frau das Gesetz lehrt, hat sie auch zwar Lohn (von Gott) zu erwarten, aber nicht so viel als ein Mann, weil sie nicht dazu von Gott befohlen ist. Die Ursache ist, nach dem Kommentator Ture Sahab, dass der, dem das Gebot von Gott befohlen ist, von dem bösen Geiste (Jezer harah) von der Ausübung desselben abgehalten wird und es ihm viele Mühe kostet, diesem zu widerstreben; deshalb ist sein Lohn auch größer, als der einer Frau, die es gar nicht nötig hat und deshalb auch nicht so viele Anreizungen dagegen vom bösen Geiste leidet. Dessen ungeachtet haben die Weisen, Talmudisten, verboten, dass Jemand seiner Tochter das Gesetz lehrt, weil die meisten Weiber den ernsten Sinn für das Gesetz nicht haben, sie sind leichtsinnig und erfinden törichte Sachen aus dem Gesetz nach ihren Ansichten; sie verstehen nicht, die Tiefe der Gedanken des Gesetzes einzusehen. Eben darum haben die Weisen gesagt: Wer seiner Tochter das Gesetz lehrt, handelt so, als wenn er ihr sündenhafte Sachen lehrt; auf jeden Fall soll man sie das geschriebene Gesetz nicht lehren (der Tur schreibt gerade das Gegenteil, d.h. das geschriebene Gesetz kann man einer Frau lehren, aber nicht den Talmud, er ist jedoch überstimmt.), doch muss man die Frau diejenigen Gesetze lehren, welche sie angehen und die sie wissen muss; auch kann sie alles ihr Verständliche mit anhören, aber nichts weiter. Eine Frau ist überhaupt nicht schuldig, ihren Sohn das Gesetz zu lehren, wenn sie aber ihrem Sohne oder ihrem Manne behilflich ist, dass diese sich mit dem Studieren beschäftigen können, so teilt sie den Gotteslohn (für das Studieren) mit ihnen.

Man darf keinem unrechtlichen Schüler das Gesetz lehren, sondern man sucht ihn erst zum Guten und auf den rechten Weg zu bringen, dann führt man ihn in die Lehrschule und lehrt ihn das Gesetz (die Thora). Von einem Rabbiner, der das Gesetz nicht beobachtet, lässt man sich nicht belehren, wenn er auch noch so gelehrt wäre und man ihn auch nötig hätte.

Das Lehren geschieht auf folgende Art: Der Rabbiner sitzt obenan und seine Schüler sitzen um ihn herum wie eine Krone (Halbkreis), damit sie ihn alle hören und sehen können. Der Lehrer darf nicht auf einem Stuhl und die Schüler hingegen auf der Erde sitzen, sondern entweder alle auf Stühlen oder alle auf der Erde; einige Rabbi meinen, dass hier nur die Rede von den Schülern ist, die schon einen gewissen Grad erhalten haben und bald ordiniert werden. Wenn die Schüler den Lehrer nicht gleich verstanden haben, so soll dieser nicht gleich zornig werden, sondern die Sache wiederholen und so oft, bis sie den tiefen Sinn der Sache verstanden haben; kein Schüler soll sagen, er habe den Lehrer verstanden, wenn dem nicht so ist, sondern nicht aufhören zu fragen, bis er den Lehrer wirklich verstanden hat, und wenn dieser böse wird, soll der Schüler sagen: Mein Lehrer, es ist das Gesetz und ich muss lernen; mein Verstand (Auffassungsgabe) ist aber nur schwach. Kein Schüler soll sich vor dem anderen schämen, wenn er den Lehrer nicht so geschwind versteht als diese und soll nicht aufhören zu fragen, denn sonst lernt er nichts. Deshalb sagen die Weisen: Der Schamhafte lernt nichts und der Zornige schickt sich nicht zum Lehrer; das Letztere ist aber nur der Fall, wenn die Sache wirklich schwer zu verstehen ist oder die Schüler wegen ihres geringen Verstandes sie nicht begreifen können, dann darf der Lehrer nicht gleich zornig werden; merkt aber der Lehrer, dass die Schüler nachlässig, träge sind, sich keine Mühe geben wollen, dann ist es seine Pflicht, böse zu werden und die Schüler zu beschämen, um sie zur Aufmerksamkeit zu bewegen. Deshalb haben die Weisen gesagt: Wirf Galle unter die Schüler, sei scharf gegen sie! Deshalb ist es auch nicht schicklich für einen Lehrer, sich leichtfertig in Gegenwart seiner Schüler zu betragen, in ihrer Gegenwart einen Spaß zu machen, mit ihnen zu essen und zu trinken, damit sie die gehörige Ehrfurcht vor ihm behalten und desto eher von ihm lernen. Man muss den Lehrer, wenn er in das Lehrhaus kommt, nicht gleich um etwas fragen, erst bis er die Gedanken beisammen hat, sich besinnt; ebenso muss man einen Schüler nicht gleich bei seinem Eintritt in das Lehrhaus um etwas fragen, bis er sich besonnen hat; auch dürfen nicht zwei Schüler zugleich fragen. Man darf den Lehrer nicht um etwas fragen, wovon gar nicht die Rede ist oder womit man sich gerade nicht beschäftigt, damit man ihn nicht in Verlegenheit bringe.

Es ist dem Lehrer erlaubt, die Schüler durch seine Fragen und Verhandlungen irre zu machen, um sich zu überzeugen, ob sie das noch wüssten, was sie gelernt haben, und sie aufmerksam und scharfsinnig zu machen; auch kann er sie, wie sich das von selbst versteht, etwas fragen, wovon jetzt die Rede gar nicht ist (was nicht abgehandelt wird), ebenfalls aus obiger Ursache. Stehend dürfen die Schüler den Lehrer nichts fragen und nichts antworten. Einige wollen, um das Schlussurteil zu wissen, müssten sie stehend fragen. Die Schüler dürfen den Lehrer nichts fragen, wenn sie sich auf einer Anhöhe befinden und der Lehrer befindet sich unten, oder sonst in einer Entfernung von ihnen, oder hinter ihnen; die Schüler dürfen den Lehrer nur über das Thema befragen, was eben jetzt abgehandelt wird, und selbst hierin nicht mehr als über drei Schlussurteile, auch darf das Fragen nur in ehrfurchtsvollem Tone geschehen. Fragen zwei Schüler über etwas, der eine über das jetzt abzuhandelnde Thema und der andere über ein anderes, so beschäftigt man sich zuerst mit dem ersten Schüler; will der eine Auskunft haben über eine Sache, die wirklich geschehen ist, und der andere über eine Sache, die geschehen könnte usw., so beschäftigt man sich ebenfalls zuerst mit dem ersten. Ist der erste Frager ein Gelehrter und der zweite ein Schüler oder der erste ein Schüler und der zweite ein Idiot, so hat der erste den Vorzug. Sind beide Frager und auch ihre Fragen in jeder Hinsicht sich gleich, so hängt es von dem Lehrer ab, mit wem von Beiden er sich zuerst beschäftigen will. Ist der eine Frager ein Bastard, aber dabei gelehrt, und der andere ein Priester, aber nicht gelehrt, so geht der erstere vor. (Viele Disputationen hierüber in dem Kommentator Zifze Cohen.)

Man darf in der Lehrschule nicht schlafen, und wer auch nur schlummert, dessen Weisheit wird zerstückelt (zerrissen). (Spr. Sal. 23, 21.) Man darf in der Lehrschule nicht sprechen, selbst nicht über das Gesetz (wenn es nicht das abzuhandelnde Thema betrifft), selbst einem Niesenden darf man nicht die Formel: Zur Gesundheit! Antworten. Die Lehrschule ist heiliger als die Synagoge, das Studieren ist so viel, als die Ausübung aller Gebote. Liegt Jemandem ein Gebot auszuüben ob und auch das Studieren, und kann das erstere auch durch einen anderen bewerkstelligt werden, so darf er sich vom Studieren nicht stören lassen, sonst aber muss er erst das Gebot tun und dann gleich wieder zum Studieren zurückkehren. Der Mensch wird nach seinem Tode von Gott erst befragt, ob er auch fleißig studiert habe, und dann erst über seinen Lebenswandel. Ein jeder soll sich damit beschäftigen, das Gesetz zu studieren; wenn es auch anfänglich mit Nebenabsicht, in eigennütziger, weltlicher Absicht geschieht, am Ende, durch die Gewohnheit, wird es doch Gottes wegen geschehen. Das Gesetz erhält sich nicht, das Gelernte bleibt nicht haften, wenn das Studieren nachlässig geschieht, auch nicht in Wollust, im Essen und Trinken, sondern peinigen und töten muss man sich über das Studieren (es höchst eifrig betreiben), keinen Schlaf im Auge und keinen Schlummer in den Augenwimpern sich gönnen. — Spr. Sal. 6, 5. Man soll nicht deshalb studieren, um Reichtümer und Ehre dadurch zu erwerben, ein solcher wird die Krone der Thora nicht erlangen. Das Studieren muss die Hauptsache sein, Arbeiten und weltliche Geschäfte Nebensache. Man soll sich aller herrschenden Vergnügungen enthalten, nur so viel arbeiten, als nötig ist, um sich ernähren zu können, wenn man kein Vermögen besitzt und arbeiten muss, die ganze übrige Zeit aber mit Studieren zubringen.

Es ist ein großer Vorzug bei einem jeden Gelehrten, wenn er sich von seiner Händearbeit nähren kann, denn es heißt: Ps. 128, 2. So du deiner Hände Fleiß genießest: heil dir! Wohl dir! Wer sich vornimmt, zu studieren und gar nicht zu arbeiten und sich durch Almosen zu ernähren, der entweiht den Namen Gottes und verunwürdigt die Thora — denn man darf durch das Studieren keinen Nutzen ziehen; wo beim Studieren kein Handwerk ist, um sich dadurch zu ernähren, da schleppt sich die Sünde hinterdrein und man bestiehlt am Ende seine Nebenmenschen. Ist aber der Studierende alt oder kränklich, dann kann er sich von anderen ernähren lassen; andere Rabbis wollen dies aber auch bei einem Gesunden erlauben und so bleibt es auch; daher ist auch der Gebrauch in allen jüdischen Städten, dass der Ortsrabbiner gewisse bestimmte Einkünfte von den Einwohnern hat, damit er nicht nötig habe, vor allen Leuten sich mit Arbeiten zu beschäftigen und die Thora in den Augen des Volkes nicht erniedrigend und herabwürdigend erscheinen möge; ist der Gelehrte aber an sich schon reich, so darf er für das Lehren nichts nehmen. Einige Rabbis wollen noch gelinder verfahren und erlauben dem Lehrer sowohl als seinen Schülern bestimmte Gaben (Stipendien) anzunehmen, um sich dadurch in Stand zu setzen, ohne Nahrungssorgen studieren zu können, aber einzelne unbestimmte Geschenke darf kein Gelehrter annehmen; dies könnte zur Bestechlichkeit führen usw. Es ist ein Bund abgeschlossen (eine ausgemachte Sache durch Tradition), dass, wer in der Synagoge studiert, dessen Studium bleibt, er vergisst es so leicht nicht; ebenfalls wer sich insgeheim mit Studieren abmüht, der wird weise werden. Spr. Sal. 11, 2. Bei Bescheidenen ist Weisheit.

Wer beim Studieren laut spricht, der behält, was er lernt, wer aber leise spricht, der vergisst es bald. Wer die Krone des Gesetzes erlangen will, der muss die Nächte in Acht nehmen und keine Nacht verlieren durch Schlaf, Essen und Trinken, Plaudern u.dgl. m., sondern mit Weisheit und Studieren sich beschäftigen. Die meiste Weisheit lernt man nur, wenn man die Nächte studiert. Von dem 15. Tag im Monat Ab an (ungefähr Mitte August) soll man schon anfangen, des Nachts zu studieren; wer dies unterlässt, stirbt früh. Jedes Haus, in welchem man des Nachts nicht studieren hört, wird vom Feuer verzehrt.

Wem es möglich ist, sich mit dem Gesetze zu beschäftigen, zu studieren und er unterlässt es oder wer beim Studieren war und geht davon ab, wendet sich zu den Torheiten der Welt und verachtet das Studieren: von dem heißt es, 4. B. M. 15, 31.: „denn das Wort Gottes hat sie (die Person) verachtet und sein Gebot hat sie gebrochen; abgeschnitten, ja abgeschnitten (ausgerottet) werde diese Person, ihr Vergehen haftet an ihr.“ Es ist jedem Israeliten verboten, über gleichgültige (unheilige) Sachen zu sprechen. Wer das Studieren (oder vielmehr die Beobachtung der Gesetze) vernachlässigt wegen seines großen Reichtums, der wird am Ende solches vernachlässigen müssen, wegen zu großer Armut; aber wer die Gebote trotz seiner Armut hält, der wird am Ende reich werden uns sie umso mehr halten können. Hat man irgend einen Traktat im Talmud beendigt, so ist es löblich, sich zu freuen und eine Mahlzeit in Gesellschaft anderer Gelehrten (mit denen zugleich man diesen Traktat beendigt hat) zu halten; eine solche Mahlzeit wird eine löbliche genannt. Dieser Gebrauch ist noch bis auf den gegenwärtigen Augenblick beibehalten, besonders in den sogenannten Klausen. (Es sind die Stiftungen, durch Vermächtnisse oder Beiträge gottesfürchtiger Israeliten erhalten. In einer solchen Klause müssen, die ganze Woche über, täglich drei gelehrte Männer, zugleich Klausner genannt, studieren und bekommen dafür einen gewissen Gehalt, wöchentlich oder monatlich. Eine solche Klause dient auch zugleich als kleine Synagoge, in welcher sowohl an Wochen — als Feiertagen das tägliche Gebet dreimal verrichtet wird. Es ist immer ein Mann in einer solchen Klause angestellt, der für die Heizung, Beleuchtung u. des Studierzimmers, welches zugleich als Synagoge dient, Sorge tragen muss. ) An schmutzigen, unreinlichen Orten darf man sich nicht mit Studieren beschäftigen usw.